Spannende Mediations-Fälle von Klarau (4. Teil)

Mein Mediations-Kollege André Thommen hat die Idee aufgebracht, reale oder fiktive Mediations-Geschichten zu erzählen. Mit Hilfe von spannenden oder lustigen Geschichten könnte die Mediation und insbesondere die Wirtschaftsmediation einem breiteren Publikum nähergebracht werden. Mediation ist eine wunderbare Möglichkeit, Konflikte lösen zu helfen.

Die Basis meiner Geschichten bildet ein Kriminalroman, den ich 2012 unter dem Pseudonym ‚von Klarau‘ geschrieben habe. Der Hauptprotagonist im Roman ‚Schmuggelware‘ – Clement von Klarau – ist Mediator. Im Roman wird Clement ohne Zutun und Verschulden in ein Verbrechen verwickelt. Bei der Lösung des Falles helfen ihm seine Mediations-Fähigkeiten. Daneben geht er nach wie vor seiner Berufung und seinem Beruf als Mediator nach und hilft, Konfliktparteien ihre Auseinandersetzungen einvernehmlich zu lösen.

Die weiteren Episoden finden Sie hier:

1. Teil –
«Die höchste Form menschlicher Intelligenz ist, zu beobachten ohne zu bewerten»

2. Teil – «Die Kirche sagt, du sollst deinen nächsten lieben. Ich bin überzeugt, dass sie meinen Nachbarn nicht kennt.»

3. Teil – «Was du ererbst von deinem Vater hast, erwirb es, um es zu besitzen»

Ich hoffe, Sie haben ein wenig Spass beim Lesen der neusten Episode und lernen dabei vielleicht etwas Neues über die Mediation, wie Mediatoren und Coaches denken und erfahren zudem das eine oder andere «Mediations-Geheimnis».

Hinweis: Da die Originale dieser Mediations-Geschichten in ein Buch eingebettet sind, kann es sein, dass einige Passagen auf Gegebenheiten, Orte oder Menschen hinweisen, die an anderer Stelle im Buch vorkommen. Entsprechend kann der Leser ein paar Details vermissen. Ich traue jedoch den Lesern zu, evtl. fehlende Elemente mit der eigenen Fantasie zu ergänzen.


Andreas Betschart


Handlung und Personen sind frei erfunden. Sollte es trotzdem Übereinstimmungen zu lebenden oder verblichenen Personen geben, so würden diese auf jenen Zufällen beruhen, die das Leben so vorgesehen hat.


„Die Feigheit tarnt sich am liebsten als Vorsicht oder Rücksicht.“

— unbekannt

An diesem Morgen hatte ich keine Mediationstermine. Ich wollte lediglich ein paar Telefonate führen, um Abklärungen über mögliche Mediationsfälle vorzunehmen, die ich eventuell übernehmen würde. Ich hatte verschiedene Anfragen vor mir liegen. Seit in der Zivilgesetzordnung die Option eingeräumt wurde, dass auch Richter zerstrittene Parteien auf die Möglichkeit einer Mediation hinweisen konnten, hatte ich durch gute Kontakte an den Obergerichtshof von Granburg einige Fälle bekommen. In aller Regel wurde ich jedoch von den Konfliktparteien direkt angegangen, mit der Bitte, sie bei ihren Konfliktlösungen zu unterstützen.

Die meisten Leute kontaktierten mich aufgrund einer Empfehlung. Da ich viele erfolgreiche Mediationen durchgeführt hatte, war ich bekannt und die beste Werbung für meine Dienste war immer noch die Mund-zu-Mund Propaganda.

Aktuell lass ich gerade eine E-Mail, die mir ein Herr Franz Faltstein zugestellt hatte. In seiner E-Mail schilderte mir Franz Faltstein den Konflikt, den er als Vermieter mit einem Mieter ausfocht. Offenbar hatte er einer Mieterfamilie mit der Kündigung gedroht. Die betroffene Familie Gökdal hatte ihm gegenüber erwähnt, dass sie die Kündigung anfechten würde, falls es so weit käme. Das wollte er augenscheinlich vermeiden und hatte daher eine Mediation vorgeschlagen.

Der Erstkontakt neuer Kunden fand meistens via E-Mail statt. Vielfach hatten die Leute nur eine vage Vorstellung von einer Mediation und brauchten zusätzliche Informationen. In einer ersten Antwort, verwies ich immer auf die «Informationen zur Mediation», die auf meiner Webseite zur Verfügung standen. Trotz meiner Aufforderung, lasen jedoch die Wenigsten die umfangreichen Informationen, die ich zur Verfügung stellte.

Es gab auch Leute, die Mediation mit Meditation verwechselten. Das war dann jedoch eher erheiternd und für die fragenden Parteien im Endeffekt oft peinlich, wenn ich den Sachverhalt erklärte.

Aus der E-Mail von Herrn Faltstein konnte ich entnehmen, dass es sich bei der Familie Gökdal um eine türkischstämmige Familie mit drei Kindern handelte. Leyla und Nermin Gökdal mit ihren Kindern, den Mädchen Hala und Tugba sowie dem Sohn Yasar. Sie lebten seit gut einem Jahr in der Mietwohnung in Granburg Schelfgebiet, welches nahe der Industriezone lag. Ein Gebiet, welches gerade einen Bauboom erfuhr.

Es schien Konflikte gegeben zu haben zwischen der Familie Gökdal und anderen Mietern. Ich wollte keine voreiligen Schlüsse ziehen, was die Gründe dafür waren.

Ich nahm das Telefon zur Hand und wählte die Telefonnummer von Herrn Faltstein.

„Faltstein?“ hörte ich einen Mann am anderen Ende der Leitung.

„Guten Tag Herr Faltstein, hier spricht Clement von Klarau. Spreche ich mit Herrn Franz Faltstein?“

„Ah! Ja. Genau. Herr Klarau, gut gut, dass sie mich anrufen“, sagte Franz Faltstein, ohne dass er das ‚von‘ in meinem Namen aussprach.

In den allerwenigsten Fällen war es Absicht, dass die Leute meinen Namen abkürzten. Die meisten Leute meinten einfach, das ›von‹ müsse nicht ausgesprochen werden. Ein paar wenige Leute weigerten sich das ›von‹ auszusprechen, weil sie dachten, ein wichtiges Statement gegen die ‘die da oben’ zu setzen. Diese Menschen verzichteten konsequent auf alle Standesanreden wie Doktor, Direktor, Pfarrer oder sonstiger Titel. Ich selbst nutzte solche Standesanreden auch nicht mehr. Ich fand diese antiquiert. Mit Namen war es jedoch was anderes. Mich störte es, dass es Leute gab, die meinen Namen abkürzten. Es war ja nicht so, dass ich mir dadurch einen Vorteil erkaufen konnte. Es war einfach mein Name, präziser, es war der Name, den ich von Felica, meiner Frau, angenommen hatte.

Herr Faltstein hüstelte.

„Ich habe Ihnen gestern ein Mail geschrieben, gut gut“, sagte er.

„Ich habe die E-Mail bekommen“, sagte ich.

„Gut gut. Haben Sie verstanden, um was es so in etwa geht?“ fragte Franz Faltstein.

„Noch nicht ganz, ich wäre froh, wenn Sie mir nochmals kurz erläutern können, um was es sich genau handelt und wie sie mit der Familie…“, ich machte eine Pause.

„Gökdal“, sagte Herr Faltstein schnell,

„Ja, genau, wie sie mit der Familien Gökdal bezüglich Mediation verblieben sind“, beendete ich den Satz.

„Na wissen Sie, das ist kompliziert“, druckste er herum. „Moment, ich muss nur rasch die Tür schliessen, bleiben Sie einen Moment dran“, ich hörte, wie er den Hörer auf den Tisch legte und wie sich im Hintergrund eine Tür schloss.

„Sind sie noch da?“, fragte er mich.

„Ja“, erwiderte ich.

„Gut gut. Also die Familie Gökdal. Ist ja eigentlich nicht so schlimm die Familie. Aber in der letzten Zeit häuften sich die Beschwerden einiger Mitbewohner im Block. Ich weiss ja auch nicht so recht, Herr Klarau aber die Situation ist kompliziert. Sie verstehen?“

Ich half ihm nicht: „Ich habe keine Ahnung, was Sie meinen, Herr Faltstein.“

„Gut gut. Wie erklär ich das, tja, ich selbst habe ja nichts gegen die Familie, wie auch, schliesslich habe ich ihnen ja auch die Wohnung vermietet. Also das heisst, mir kann man nicht vorwerfen, dass ich Ausländer benachteilige. Wahrlich nicht. Nur wissen Sie, die anderen Mieter…»

Franz Faltstein druckste rum und wand sich.

«Ich selbst habe da keine Probleme, ich wohne ja auch nicht in den Wohnblöcken und wenn auch, ich bin da sehr aufgeschlossen und liberal, aber wissen Sie, hier geht es auch ums Geschäft», fuhr er weiter fort.

Er redete um den heissen Brei und das ärgerte mich. Franz Faltstein sprach zudem konsequent meinen Namen falsch aus.

«Von Klarau», sagte ich.

«Wie bitte?», fragte er irritiert.

«Von Klarau ist mein Name», sagte ich und betonte das ‘von’.

«Oh», sagte Herr Faltstein, «tut mir leid, ich dachte, das spricht man wie bei einem Doppelnamen nicht mit aus. Ich war mir dessen nicht bewusst. Gut gut, ich werde mir das merken, Herr von Klarau, nichts für ungut, nichts für ungut.»

«Danke», sagte ich lediglich und grübelte über die Situation der Familie Gökdal nach.

„Hallo, hallo? Herr von Klarau? Sind Sie noch dran?“ hörte ich Franz Faltstein fragen.

„Bin ich, bin ich“, sagte ich.

„Gut, gut. Nun denn, was machen wir jetzt? Können Sie da vermitteln?“ fragte er.

„Ist Ihnen ein Mediationsverfahren bekannt und was mein Beitrag in einem solchen Fall sein kann?“, fragte ich.

Die Erwartungshaltungen waren zum Teil dahingehend, dass die Parteien hofften, dass ich für sie das Problem löste oder einen salomonischen Entscheid fällte. Ich musste sie dann jeweils aufklären, dass sie genau das von mir nicht erwarten konnten. Ich erläuterte ihnen dann Schritt für Schritt den Ablauf und erklärte, dass sie sehr wohl auf meine Hilfe zählen konnten, diese jedoch darin bestand, dass ich sie aufgrund meiner Erfahrung und mit Hilfe von Mediations-Techniken anleitete, Lösungen selbst zu erarbeiten. Es leuchtet ihnen in der Regel ein, wenn ich ihnen erklärte, dass sie als direkt Betroffene wohl am besten Lösungen finden konnten. Die Eigenverantwortlichkeit der Parteien war einer der Grundpfeiler der Mediation.

Franz Faltstein sagte: „Doch doch, ich habe mal an einer Mediation teilgenommen, als ich mich von meiner Frau getrennt habe.“

„Gut gut“, sagte ich versehentlich, „Ich meine, schön, schön“, setzte ich nach.

Verdammt, ich musste mich konzentrieren und sagte: „Ich meine, es ist toll, dass Sie schon mal eine Mediation durchgeführt haben. Ich meine der Anlass war sicher nicht toll“, ich hätte mich schlagen können, bezüglich des Blödsinns, den ich verzapfte.

Ich versuchte es nochmals: „Was ich sagen wollte: Ich finde es wunderbar, dass ich Ihnen demzufolge nicht alles über eine Mediation erklären muss, auch wenn es sich hier um eine leicht andere Art der Mediation handelt.“

„Wenn Sie einverstanden sind, telefoniere ich später mit der Familie Gökdal und werde sie ebenfalls fragen, ob oder was sie von der Mediation kennen. Auch was die Familie sich damit erhofft. Geht das in Ordnung Herr Faltstein?“

„Ja, gut gut, das ist gut“, sagte er.

„Noch etwas Herr Faltstein, inwieweit haben Sie mit den anderen Mietern, die Sie erwähnt haben, über die Möglichkeit einer Mediation gesprochen?“

„Mit den anderen Mietern?“, fragte mich Franz Faltstein überrascht.

„Ja, mit den anderen Mietern“, sagte ich.

„Gar nicht, warum sollte ich?“, fragte er.

„Wie Sie mir ja vorhin sehr schön geschildert haben, sind es ja nicht Sie, der ein Problem mit der Familie Gökdal hat, sondern offensichtlich andere Mitbewohner im Block“, half ich nach.

„Ah! Tatsächlich, ich weiss, was Sie meinen Herr Klarau, ich weiss, was Sie meinen. Da ist tatsächlich so. Ich weiss gar nicht so recht, was die zwei anderen Mieter überhaupt an der Familie Gökdal stört. Habe zwar zwei oder drei Telefonate bekommen und auch ein paar E-Mails aber das alles war recht zusammenhangslos. Wenn Sie verstehen, was ich meine, verstehen Sie?“, sagte er.

Ich hatte keine Ahnung, was er meinte und fragte bloss: „Wie viele Parteien wohnen in dem betreffenden Block Herr Faltstein?“

„Hm, lassen Sie mich kurz nachschauen“, ich hörte ihn kurz in irgendwelchen Dokumenten blättern und im Hintergrund ein ‚gut gut‘ murmeln, dann war er wieder am Telefon: «Zwölf Parteien“, sagte er.

„Zwölf Parteien, zwölf Wohnungen. Danke. Geh ich richtig in der Annahme, dass es zwei Mieter aus diesem Block waren, die sich demzufolge über die Familie Gökdal beschwerten?“ fragte ich.

„Genau, so ist es, ist es“, sagte er.

„Also, von diesen zwei Parteien, von denen Sie auch Beschwerden haben, gibt es hier materielle Unterschiede?“

„Materielle Unterschiede? Was meinen Sie damit?“ fragte er verwirrt.

„Entschuldigen Sie, dass ich mich unklar ausgedrückt habe. Ich möchte wissen, über was sich die Parteien enervieren. Geht es bei beiden ums Gleiche? Um den Lärm? Die Abfallentsorgung? Um was geht es bei den Ihnen bekannten Beschwerden?“ fragte ich.

„Gut gut, ich weiss, was Sie meinen, Herr von Klarau. Nun es ist so, dass vor allem Frau Meierhans im dritten Stock sich über den Lärm der Familie Gökdal beschwert. Sie sagt, die Kinder seien laut. Alsdann steht hier – ich habe die Passagen markiert – dass sie sich über das ständige Kommen und Gehen ärgere. Offensichtlich bekommt die Familie Gökdal oft Besuch. Auch ortet sie eine gewisse Unordnung im Treppenhaus und es schleichen sich auch zwielichtige Gestalten um den Block rum, meint Frau Meierhans; nicht ich!“

Ich sagte nichts.

„Sind sie noch da?“, fragte mich Herr Faltstein.

„Voll aufmerksam“, sagte ich.

„Gut gut. Und die zweite Beschwerdeführerin – sagt man dem so? – nun dies ist Frau Moons. Sie hat sich nur einmal darüber beschwert, dass die Fahrräder der Gökdal-Kinder auf ihrem Parkplatz abgestellt waren. Sehen Sie hier den von Ihnen erfragten materiellen Unterschied?“ fragte er mich.

Ich beantwortete ihm seine Frage nicht, sondern stellte eine Gegenfrage: „Habe ich Sie richtig verstanden, dass diese Frau Moons sich nur einmal über die Familie Gökdal beschwert hatte? Nämlich wegen der Fahrräder der Kinder?“, fragte ich.

„Korrekt, korrekt. Einmal, und das sagte Sie mir, als ich zufällig unten in der Tiefgarage zugegen war“, sagte Herr Faltstein. „Ich hatte es auch gesehen. Da standen, nein vielmehr lagen, zwei Fahrräder auf ihrem Parkplatz. Die Veloabstellfläche ist gleich daneben, wissen Sie, gleich daneben.“

„Und wie viele Beschwerdeschreiben und Telefonate haben Sie von Frau Meierhans bekommen?“ hakte ich nach.

„Puh“, er lachte verlegen, „da fragen sie mich aber was. Viele.“

„Herr Faltstein, darf ich Ihnen einen Vorschlag machen? Sie sind ja der eigentliche Prellbock in der ganzen Geschichte. Alle kommen zu Ihnen und erwarten, dass Sie die nachbarschaftlichen Konflikte lösen“, sagte ich verständnisvoll.

„Genauso ist es Herr von Klarau. Gerne höre ich Ihren Vorschlag“, seufzte er.

„Gut gut“, sagte ich und biss mir auf die Zunge.

Nicht schon wieder, langsam übernahm ich seine Ausdrucksweise.

„Ich meine, schön, schön», sagte ich kläglich.

Ich hustete und fuhr konzentrierter fort: «Ich schlage Ihnen Folgendes vor: Frau Meierhans, Herr oder Frau Gökdal – oder auch beide Ehepartner – kommen zu mir. Was halten Sie davon, wenn Sie auch dabei sind Herr Faltstein. Sie sind ja so etwas wie der ‚Man in the middle‘.“

„Der was bin ich?“, fragte Franz Faltstein.

„Sie sind derjenige zwischen Hammer und Amboss, sie stehen zwischen Tür und Angel?“, sagte ich mehr fragend.

„Gut gut. Ich weiss, was Sie meinen, genau das oder der bin ich“, sagte er seufzend.

„Daher ist es gut, wenn Sie auch dabei sind. Ihre Rolle beschränkt sich jedoch hauptsächlich auf das Zuhören. Den Rest der Gesprächsführung dürfen Sie mir überlassen“, sagte ich.

„Gut gut“, sagte er, „das würde ich sehr schätzen.“

„Wann hatten Sie das letzte Mal Kontakt mit Frau Meierhans“, fragte ich, „ich meine telefonisch oder persönlich?“

„Anfangs letzter Woche. Ich habe ihr da versprochen, mich um die Sache zu kümmern. Habe dann das mit der Kündigung für die Familie Gökdal in Betracht gezogen. Als ich Frau Gökdal mit der Möglichkeit konfrontiert habe, hat sie harsch reagiert. So, wie ich es Ihnen in meiner Mail geschildert habe. War gar nicht gut, gar nicht gut. Da bin ich dann ja auch erst auf die Idee mit Ihnen gekommen“, sagte er.

„Sehr gut Herr Faltstein“, sagte ich, „was meinen Sie, können Sie Frau Meierhans überzeugen, wenn Sie jetzt gleich anrufen würden, an einem Gespräch mit mir, Ihnen und der Familie Gökdal zu partizipieren?“ fragte ich.

„Ich denke schon, denke schon“, sinnierte Franz Faltstein, „ich meine, mit der Familie Gökdal würde sie wahrscheinlich am liebsten nicht sprechen, soviel ich weiss, hat sie das auch noch nie gemacht, aber wenn ich dabei bin und dann sogar Sie Herr Klarau. Ich meine, Sie sind ja fast so was wie ein Graf oder Herzog oder wie man das früher nannte. Da sagt Frau Meierhans bestimmt nicht nein.“

Na, das konnte ja heiter werden, wenn es zu einer Mediation kam und das Verhalten von Frau Meierhans so war, wie ich es mir vorstellte.

„Sehr gut Herr Faltstein, dann schlage ich vor, Sie rufen Frau Meierhans an und unterbreiten ihr die Idee einer Mediation wie besprochen. Ich werde wie vereinbart die Familie Gökdal anrufen und sie über das Verfahren informieren. Dann kann ich auch in Erfahrung bringen, wer von der Familie Gökdal bei einer eventuellen Mediation zugegen sein wird.“

„Gut gut. So machen wir das“, Franz Faltstein schien hellauf begeistert.

„Noch was Herr Faltstein“, sagte ich, „bleibt es dabei, dass Sie die Mediationsauslagen begleichen, so wie Sie mir in Ihrer E-Mail auch angekündigt haben?“

„Ich denke schon, denke schon oder was meinen Sie“, fragte er mich.

„Ich denke, das ist ein guter Entscheid. Wenn wir erfolgreich sind, Herr Faltstein, erspart Ihnen das viel Ärger und schlussendlich auch Geld. Ich gehe davon aus, das war ja auch eine Ihrer Überlegungen?“ gab ich ihm eine Hilfestellung.

„Genau! Das war auch bei meiner Scheidung der Fall“, sagte er, „letztendlich haben wir uns im Rahmen einer Mediation geeinigt, meine Ex-Frau und ich. Wer was bekommt und so. Ich bin froh, dass wir dazumal nicht vor Gericht streiten mussten. Wir hatten die Vereinbarung schon ausgearbeitet und konnten diese nur noch vorlegen. War wirklich eine gute Sache. Ging ganz schnell. Ich habe eine neue Frau, wissen Sie.“

„Das freut mich zu hören, Herr Faltstein und sehen Sie“, sagte ich, „wir zwei können schon mal von positiven Erfahrungen sprechen und davon ausgehen, dass wir auch in diesen Fall eine für alle Parteien zufriedenstellende Lösung finden.“

Ich fuhr fort: „Der Mediationsvertrag ist jedoch von allen drei Parteien, das heisst von Frau Meierhans, Herr oder Frau Gökdal und Ihnen zu unterschreiben. Je nachdem, können wir das vor einer ersten Sitzung machen oder auch anlässlich einer ersten Besprechung. Wichtig ist vorerst, dass ich von Ihnen oder Frau Meierhans höre, dass Frau Meierhans auch mitmacht. Es liegt jetzt an Ihnen, Herr Faltstein“, sagte ich aufmunternd.

„Gut gut“, sagte er, „das kriege ich hin, das ist eine gute Sache, gute Sache.“

„Wunderbar“, sagte ich, „dann rufen Sie mich bitte wieder an oder schreiben mir eine E-Mail, sobald Sie einen positiven Bescheid von Frau Meierhans haben. Wir können dann über die weiteren Termine sprechen.“

„Gut, gut“, sagte Franz Faltstein, „mache ich, mache ich.“

Er zögerte: „Wissen Sie was Herr von Klarau, das Telefongespräch ist jetzt ganz anders herausgekommen, als ich mir gedacht habe. Aber ich sage Ihnen, ich habe ein gutes Gefühl dabei.“

Ich stand auf und wechselte den Hörer ans andere Ohr: „Habe ich auch Herr Faltstein“, sagte ich bestimmt. Wenn ich stand, konnte ich eine Aussage am Telefon verstärken. Dies war hilfreich, wenn es darum ging, jemanden zu überzeugen oder in seiner Meinung zu bekräftigen.

„Gut gut. Dann bis später Herr von Klarau und vielen Dank“, sagte Franz Faltstein.

„Gern geschehen, auf Wiederhören Herr Faltstein“, sagte ich.

„Auf Wiederhören Herr Klarau“, hörte ich ihn noch sagen.

Echt jetzt? Ich legte ein wenig gereizt den Hörer auf.

(Ende des 4. Teils).

Keine Angst vor Mediation!

Glücklicherweise steigt das Bewusstsein dafür, dass Mediation ein valabler und zielführender Ansatz zur Konfliktlösung ist, in unserer Gesellschaft langsam an. Auch die kreativen Lösungen, die damit möglich werden, führen dazu, dass Mediation vermehrt in Erwägung gezogen wird.  

Allerdings haben auch heute noch viele Menschen Bedenken, eine Mediation auszuprobieren und dies oft, weil sie nicht wissen, was da eigentlich so abläuft.

Was also passiert in einer Mediationssitzung?

Nach den Vorbereitungen, die schliesslich zur Mediation führen (Initiierung, Erstkontakt, Vorbereitung) findet schliesslich am vereinbarten Termin die Mediationssitzung statt.

Idealerweise nimmt daran pro Partei mindestens eine Person, die die Fakten kennt, teil. Selbstverständlich können auch mehrere Personen pro Partei anwesend sein, was besonders bei Sitzungen im Rahmen der Commercial Mediation oft der Fall ist. Mindestens eine der anwesenden Personen muss berechtigt sein, eine verbindliche Vereinbarung / Lösung einzugehen und diese auch gültig zu unterschreiben. 

Es kann nützlich sein, wenn die Parteien ihre Anwälte[1] ebenfalls zu dieser Sitzung einladen, dies ist jedoch nicht zwingend. Manchmal kann es hilfreich sein, wenn sich die Parteien ohne rechtlichen Beistand unterhalten und so zu kreativen Lösungen kommen. 

Die Sitzung findet idealerweise in einem Raum statt, der freundlich, aber nicht allzu gemütlich ist. Schliesslich geht es darum, den Konflikt möglichst effizient zu regeln. Sollte es den Parteien nicht möglich sein, sich gemeinsam in einem Zimmer aufzuhalten, können sie auch getrennt werden – der Mediator pendelt dann zwischen den Räumen, in denen sich die Parteien befinden hin und her. Dies wird als ‘Shuttle Mediation’ bezeichnet. Hierbei ist es für den Vertrauensaufbau (und damit den Erfolg der Mediation) äusserst wichtig, dass der Mediator auf die Vertraulichkeit achtet und auch den Parteien gegenüber kommuniziert, dass nichts, was nicht explizit erlaubt wurde, im anderen Raum wiederholt wird. 

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Zu Beginn der Mediationssitzung stellen die Vertreter der Parteien kurz ihren ‘Fall’ vor und erklären, wie es zum Konflikt gekommen ist und worum es beim Konflikt eigentlich – aus ihrer Sicht – geht. Der Mediator fasst nach jedem Statement kurz zusammen, was er gehört hat und klärt eventuelle Verständnisfragen direkt.

Danach geht es darum, dass die Parteien gemeinsam (!) alle Themen auflisten, die im Konflikt geklärt werden sollen. Dabei ist die Reihenfolge und Gewichtung nicht relevant – es darf ‘ge-brain-stormed’ werden. 

Im nächsten Schritt moderiert der Mediator die Diskussion – dabei werden in Absprache mit den Parteien alle Themen nacheinander besprochen, um der Sache wirklich auf den Grund zu gehen. Die Idee ist hier, von den oft verhärteten Positionen (was explizit verlangt wird) zu den Interessen (worum geht es eigentlich wirklich) zu gelangen. Es ist wichtig, dass die Parteien am Ende dieser Phase der Meinung sind, dass ALLE relevanten Themen genügend besprochen wurden. 

 Die Frage ‘Warum sitzen wir hier?’ ist in diesen Phasen zentral.

Erst dann werden Optionen generiert, die für alle Parteien akzeptabel sind. Nur mit als fair empfundenen Optionen wird es möglich sein, sich auf eine zu einigen und so eine Lösung zu finden. 

 Hier geht es um die Fragen ‘Was ist möglich?’ sowie ‘Was ist fair?’. 

Einigen sich die Parteien dann auf eine Option, sollte diese mit realistischen Alternativen verglichen werden. 

 ‘Was passiert wenn wir uns nicht einigen?’

In allen bisherigen Phasen der Mediation kann es sinnvoll sein, ein oder mehrere private Einzelgespräche (sog. Caucus’) abzuhalten, in dem der Mediator jeweils sich mit nur einer Partei – wiederum vertraulich – unterhält. Der Mediator achtet dabei auf eine ‘gerechte’ zeitliche Verteilung, damit alle Parteien gleichberechtigt gehört werden können. 

Erst wenn sich die Parteien auf eine Option geeinigt und mit den Alternativen verglichen haben, wird die Lösung schriftlich festgehalten und noch in der Sitzung unterschreiben. Hier geht es darum die Vereinbarung klar und verständlich zu formulieren. 

 Die Frage lautet hier ‘Was wollen wir wie geregelt haben?’.

Falls Anwälte anwesend sind, können diese beim Aufsetzen der Vereinbarung helfen. Ansonsten einigen sich die Parteien auf die Formulierungen. Zur Durchsetzbarkeit des Agreements gibt es nach der Mediation die Möglichkeit, die Lösung z. B. öffentlich beurkunden zu lassen; die Erfahrung zeigt jedoch, dass bereits der Prozess der gemeinsamen Lösungsfindung sowie das schriftliche Festhalten und die Unterschriften oft dazu führen, dass die Parteien sich an die Vereinbarung halten. Auf jeden Fall handelt es sich bei der Vereinbarung um einen Vertrag zwischen den Parteien, der – bei Nichteinhaltung – eingeklagt werden kann.

Meine Erfahrung zeigt, dass eine Mediation oft in einer einzigen Sitzung abgeschlossen werden kann, sodass keine weiteren Sitzungen notwendig sind. Falls notwending, werden weitere Sitzungstermine geplant. 

Ich hoffe nun, dass die Unsicherheit, was in einer Mediation eigentlich so ‘abläuft’, etwas beseitigt werden konnte. Bei weiteren Fragen zur Klärung stehen ich und meine Kollegen selbstverständlich gerne zur Verfügung. 


[1] Im Artikel ist immer auch die weibliche Form gemeint.

Was ist Wirtschaftsmediation eigentlich?

Mediation ist ein strukturiertes Verfahren zur aussergerichtlichen Regelung von Konflikten. Es geht in der Mediation darum, Konflikte und Streitigkeiten zu schlichten, Brücken zu schlagen und Lösungen gemeinsam zu finden. Wirtschaftsmediation findet in folgenden Kontexten statt:

Zwischen Unternehmen und Geschäftspartnern

  • Forderungsstreitigkeiten (Liefer-/Zahlungsverzug)
  • Vertragsstreitigkeiten
  • Schadenersatz, Reklamationen
  • Patent-/Markenrecht
  • Fusionen/Übernahmen
  • Streitigkeiten aus der Zusammenarbeit in Projekten und Grossvorhaben  (beispielsweise: Bauprojekte, Infrastrukturprojekte, IT-Projekte
  • etc

In Unternehmen, Verwaltungen

  • Konflikte zwischen Mitarbeitenden
  • Konflikte zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitenden
  • Konflikte in Teams, zwischen Teams/Abteilungen
  • Bossing/Mobbing
  • Streitigkeiten im Rahmen der Sozialpartnerschaft (Personalkommissionen Geschäftsleitung, Personalabteilung)
  • Übergabe-/Nachfolgekonflikte
  • Konflikte zwischen Gesellschaftern
  • etc

Zwischen Unternehmen, Verbänden, Behörden, Öffentlichkeit

  • Konflikte um Gesamtarbeitsverträge
  • Konflikte um Werkschliessungen, Entlassungen, Sozialpläne
  • Umweltkonflikte
  • Konflikte bei Bewilligungen und Einsprachen für Bauprojekte
  • etc

Beim Entscheid für eine Mediation einigen sich die Parteien freiwillig auf eine eigenverantwortliche Bearbeitung ihres Konflikts. Im Unterschied zu einem Gerichts-­ oder Schiedsgerichtsverfahren, einer Schlichtung oder einem gerichtlichen Vergleich bestimmen und gestalten die Beteiligten in der Mediation die Lösungen und Ergebnisse selbst. Sie werden darin von Mediatorinnen und Mediatoren unterstützt. Die akkreditierten MediatorInnen des SKWM sind dabei allparteilich und zur Verschwiegenheit verpflichtet.

QUELLE: Schweizer Kammer für Wirtschaftsmediation (www.skwm.ch).

Ich empfehle in diesem Zusammenhang immer, bei Vertragsabschlüssen sicherzustellen, dass in den Verträgen eine Mediationsklausel eingebaut wird.

David Bärtsch ist Unternehmensberater, systemischer Coach und Mediator. Er ist Mitglied der Schweizer Kammer für Wirtschaftsmediation (SKWM). David Bärtsch begleitet Firmen in Konfliktschlichtungen, in der Gestaltung und Einführung von Unternehmenskultur (inkl. Konfliktkultur) vor allem auch vor dem Hintergrund von New Work / Arbeitswelt 4.0.

Projektmanagement: Was passiert im Konfliktfall

Projektmanagement im Konfliktfall: Mediation hilft den Kurs beizubehalten

Spannende Mediations-Fälle von Klarau (3. Teil)

Mein Mediations-Kollege André Thommen hat die Idee aufgebracht, reale oder fiktive Mediations-Geschichten zu erzählen. Mit Hilfe von spannenden oder lustigen Geschichten könnte die Mediation und insbesondere die Wirtschaftsmediation einem breiteren Publikum nähergebracht werden. Mediation ist eine wunderbare Möglichkeit, Konflikte lösen zu helfen.

Die Basis meiner Geschichten bildet ein Kriminalroman, den ich 2012 unter dem Pseudonym ‚von Klarau‘ geschrieben habe. Der Hauptprotagonist im Roman ‚Schmuggelware‘ – Clement von Klarau – ist Mediator. Im Roman wird Clement ohne Zutun und Verschulden in ein Verbrechen verwickelt. Bei der Lösung des Falles helfen ihm seine Mediations-Fähigkeiten. Daneben geht er nach wie vor seiner Berufung und seinem Beruf als Mediator nach und hilft, Konfliktparteien ihre Auseinandersetzungen einvernehmlich zu lösen.

Die beiden ersten Episoden finden Sie hier:

1. Teil –
«Die höchste Form menschlicher Intelligenz ist, zu beobachten ohne zu bewerten»

2. Teil – «Die Kirche sagt, du sollst deinen nächsten lieben. Ich bin überzeugt, dass sie meinen Nachbarn nicht kennt.»

Ich hoffe, Sie haben beim Lesen der dritten Episode ein wenig Spass und lernen dabei vielleicht etwas Neues über die Mediation, wie Mediatoren und Coaches denken und erfahren zudem das eine oder andere «Mediations-Geheimnis».

Hinweis: Da die Originale dieser Mediations-Geschichten in ein Buch eingebettet sind, kann es sein, dass einige Passagen auf Gegebenheiten, Orte oder Menschen hinweisen, die an anderer Stelle im Buch vorkommen. Entsprechend kann der Leser ein paar Details vermissen. Ich traue jedoch den Lesern zu, evtl. fehlende Elemente mit der eigenen Fantasie zu ergänzen.


Andreas Betschart


Handlung und Personen sind frei erfunden. Sollte es trotzdem Übereinstimmungen zu lebenden oder verblichenen Personen geben, so würden diese auf jenen Zufällen beruhen, die das Leben so vorgesehen hat.


Goethe als Mediator?

„Was du ererbt von deinem Vater hast, erwirb es, um es zu besitzen.“

— Johann Wolfgang von Goethe, Faust I, Vers 682f

«Was erlauben Sie sich! Was glauben Sie eigentlich Herr Lahr, wer Sie sind?! Seit sieben Generationen befindet sich das Unternehmen Wotlow in Besitz MEINER Familie. Ich trage nicht umsonst diesen Namen. Ich bin eine Wotlow! Da können Sie doch nicht behaupten, dass mein Vater Sie als Nachfolger vorgesehen hat!“ brüllte Sabine Wotlow ihr Gegenüber Philipp Lahr an. Ohne Philipp Lahr Zeit für eine Erwiderung zu geben, fuhr Frau Wotlow aufgebracht fort: „Schön für Sie, dass Sie seit 20 Jahren Meister im Betrieb sind und danke Ihnen für Nichts. Klar haben Sie meinen Vater unterstützt. Ha! Zum Guten war es eh nicht und jetzt ist Schluss. SIE fahren meine Firma nicht an die Wand. Ich bin jetzt rechtmässige Geschäftsführerin, die Erbengemeinschaft hat mich eingesetzt. Jetzt bin am Ruder und nicht Sie!“

„Dies ist lediglich Ihr persönlicher Feldzug gegen mich Frau Wotlow! Sie wollen mich schlicht und einfach fertigmachen“, ereiferte sich der 53-jährige Philipp Lahr.

Ich hatte diesen Morgen eine Mediationssitzung im Kaminzimmer. Zwei Stunden waren vorgesehen, 10.30 Uhr bis 12.30 Uhr. Es war bereits 11.30 Uhr und der Schlagabtausch war in vollem Gange. Wobei sich die Argumentationen mittlerweile wiederholten und sich die Positionen immer mehr verhärteten. Das war in der Mediation nicht mal so selten, vor allem zu Beginn. Wichtig für die Lösungsentwicklung war, dass sich die Parteien der Interessen gewahr wurden, die hinter den verschiedenen Positionen standen. Sowohl der eigenen Interessen, als auch der Interessen der anderen Partei.

Es ging als Mediator auch darum, den Parteien Raum für Emotionen zu geben und nicht dem Drang nachzugeben, sofort schlichten zu müssen. Ein Gewitter konnte auch reinigend wirken. Oft wurde von den Mediationsparteien die Gelegenheit wahrgenommen, ihren Frust und Ärger im Beisein des Mediators auszudrücken. Manchmal wurde die Wut über die andere Partei auch dem Mediator erzählt und die anwesende Gegenpartei in der dritten Person angesprochen.

Und prompt richtete Frau Wotlow das Wort an mich: «Sehen Sie Herr von Klarau? Genau das meine ich. Verstehen Sie mich jetzt? Herr Lahr ist völlig uneinsichtig. Er merkt gar nicht, dass er alles nur noch schlimmer macht und unhaltbare Vorwürfe in’s Feld führt.».

Dies war nun die Gelegenheit, meinerseits zu intervenieren, da ich direkt angesprochen wurde. Ich konnte Frau Wotlow fragen, was sie so betroffen gemacht hatte oder was ihr in Bezug auf die Firma wirklich wichtig war. Meine Absicht war, das Gespräch in die Richtung ihrer Interessen, Wünsche und Bedürfnisse lenken.

Ich verpasste den Moment und meinen Einsatz.

«Sie wollten mich bereits am ersten Tag, als Sie hier das Ruder an sich gerissen haben aus der Firma werfen! Ihr Vater hat mich als Nachfolger für die Weiterführung der Geschäftstätigkeit der Firma Wotlow vorgesehen. Leider ist er gestorben, bevor er sein Testament anpassen konnte. Und er wusste auch, warum er Sie nicht in der Firma haben wollte! Wir sind eine Traditionsschreinerei und keine Schickimicki-Möbel-Manufaktur!“, knurrte Philipp Lahr.

Philipp Lahr bebte vor Wut: “Sie mit Ihren akademischen Ideen, Ihrem hochtrabendem Consulting-Gebrabbel von Effizienzsteigerung, Nischenmärkten und Unic-Selling-Propoirgendwas. Ihr Vater ahnte bereits damals, dass Ihre abstrusen Vorstellungen das Traditionsunternehmen an die Wand fahren würde. Ruinieren würden Sie das Familienunternehmen! Sie sind ja völlig realitätsfremd, Frau Wotlow, völlig realitätsfremd sag ich Ihnen! Und nur, weil Sie studiert haben, meinen Sie nun, Sie hätten die Weisheit mit Löffeln gefressen. Zudem verbitte ich mir……“

Frau Wotlow unterbrach ihn hitzig: „ICH habe innovative Ideen, SIE haben antiquierte Vorstellungen. Haben Sie bemerkt, Sie Oberschlauschreiner, der das Geschäft ja so gut versteht, dass unser Marktanteil seit gut 10 Jahren kontinuierlich abgenommen hat? Was denken Sie, warum mein Vater seit längerem um die Existenz der Firma kämpfen musste? Wir sind kein Weltkonzern wie derjenige mit den vier Buchstaben, der aus Schweden kommt und Elche röhren lässt, Herr Möchtegern-Chef. Wir sind eine mittelständische Möbelschreinerei, die hier lokal verankert ist, und wir müssen uns Gedanken ums Überleben machen und das bedingt auch Einschnitte in unser heutiges Geschäftsmodell!“

„Geschäftsmodell?! Wenn ich das schon höre, wird mir schlecht! Können Sie nicht so sprechen, wie Ihnen der Schnabel gewachsen ist? Hören Sie sich mal selbst zu!“, brüllte Lahr.

Die Zwei kämpften mit harten Bandagen und ich liess sie vorerst gewähren. Die Energie musste erst verpuffen. Irgendwann würde sich Frau Wotlow oder Herr Lahr erneut an mich richten, mit einem weiteren: ‚Sehen Sie Herr von Klarau! Genau das meine ich‘. Wahrscheinlich nicht wortwörtlich aber sinngemäss. Dann würde ich wieder versuchen, dem Ganzen eine neue Richtung zu geben. Bis dahin hörte ich aufmerksam zu und erhielt dabei viele Informationen über die Befindlichkeiten der Parteien.

Ich hatte mich im Vorfeld über den Fall bzw. die Firma informiert. Zudem war dies bereits das zweite Gespräch. Im ersten Gespräch, das wir vor gut einer Woche geführt hatten, hatte ich Frau Wotlow und Herrn Lahr die Mediation und das Vorgehen erläutert. Beide hatten aufgrund der Bitte der restlichen Erbengemeinschaft eingewilligt, an einer Mediation teilzunehmen. Die erste Besprechung war zwar in einer eher unterkühlten Atmosphäre, jedoch grösstenteils ruhig verlaufen.

Die weiter zurückliegende Geschichte der Firma war für die Mediation nicht von wesentlicher Bedeutung. Gleichwohl war sie faszinierend. Wotlow war ein Unternehmen, das sich seit Generationen im Familienbesitz befand. Es war eine beeindruckende Firmengeschichte. Ich kannte nicht mehr viele Unternehmen in Granburg, die seit Generationen im Familienbesitz waren. Im vorliegenden Fall war nun ein Kampf um die Nachfolge entbrannt. Ich wusste aus dem Aktenstudium und aus Telefonaten, was in der Firma vorgefallen war. Die familiären Verhältnisse waren mir aus dem ersten Gespräch mit Frau Wotlow und Herr Lahr in groben Zügen bekannt.

Schon sieben Generationen der Wotlows kümmerten sich um den Fortbestand der Möbelschreinerei. Karl Wotlow stellte die siebte Generation, als er in den achtziger Jahren, die Schreinerei übernahm. Derzeit hatte sie knapp 15 Mitarbeitende und arg zu kämpfen in einem anspruchsvollen Markt. Nicht nur der von Frau Wotlow erwähnte Grosskonzern aus Schweden mit vier Buchstaben, auch das Do-it-Yourself der Baumärkte grub der Firma Wotlow das Wasser ab. Mehrfach in der Geschichte der Firma, konnte der Konkurs nur knapp abgewendet werden. Jedes Mal konnte der alte Wotlow das Ruder nochmals rumreissen.

Karl Wotlow hatte drei Kinder, zwei Söhne und eine Tochter. Genügend Optionen also, dass jemand die Familientradition weiterführen konnte. Unglücklicherweise starb der eine Sohn mit zwanzig bei einem Motorradunfall. Der zweite Sohn hatte zwar eine Schreinerlehre begonnen, diese jedoch abgebrochen und sich entschlossen, wieder zur Schule zu gehen und Medizin zu studieren. Dieser Sohn, Per, hatte sich während seiner Lehre im familieneigenen Betrieb mit seinem Vater zerstritten. Per, war mittlerweile 29 Jahre alt und stand kurz vor Abschluss seines Medizinstudiums. Er hatte nie mehr Interesse bekundet, das Unternehmen zu übernehmen, sehr zum Leidwesen seines Vaters Karl Wotlow.

Sabine Wotlow zeigte Freude an der Schreinerei und am Beruf. Nur hatte der alte Karl sich gewünscht, einer seiner Söhne hätte dieses Engagement. Sabine Wotlow hatte einen schweren Stand bei ihrem Vater. Sie wurde nie gleich behandelt oder vielmehr nicht für gleich fähig befunden, wie seine Söhne, einen solchen Schreinereibetrieb führen zu können. Nachdem sich ihr jüngerer Bruder, unter dem Einfluss des Vaters, schon früh für die Lehre im Familienbetrieb entschlossen hatte, war für Sabine Wotlow dieser Weg vorerst versperrt geblieben. Sie hatte stattdessen Betriebswirtschaft studiert und ihre Abschlussarbeit beschäftigte sich mit Marketingstrategien einer mittelständischen Schreinerei. Offensichtlich hatte der Vater diese Arbeit seiner Tochter auch gelesen und wie sein Schreinermeister Philipp Lahr, die Ideen als Verrücktheiten abgetan.

Sabine Wotlow war 34 Jahre alt, geschieden und alleinerziehende Mutter eines fünfjährigen Sohnes. Mit dem überraschenden Tod ihres Vaters, wollte Sabine Wotlow ihr im Studium und in einem Industrieunternehmen erworbenes Wissen in den Familienbetrieb einbringen. Von der familiären Erbengemeinschaft, bestehend aus ihrer Mutter, ihrem Bruder und ihr selbst, wurde sie auch als vorübergehende Geschäftsführerin eingesetzt.

Klaus Wotlow hinterliess ein Testament, das seine Kinder auf den Pflichtteil setzte und den Rest seiner Frau bedachte. Dieses Testament war vor 25 Jahren datiert, nichtsdestotrotz gültig. Da zählte auch nicht, dass die Belegschaft der Firma Wotlow die Aussagen von Philipp Lahr bestätigte, dass der alte Karl Wotlow in den letzten zwei Jahren Philipp Lahr als sein Nachfolger aufgebaut und ihm grosse Entscheidungskompetenzen zugeschanzte hatte.

Bitter enttäuscht äusserte sich Philipp Lahr in der Sitzung darüber, dass Karl Wotlow ihm dazumal versprach, ihn als Dank für die geleisteten Dienste, in einem neuen Testament zu berücksichtigen. Karl Wotlow hatte dies offenbar unterlassen oder keine Zeit gefunden, den Passus der Nachfolge in einem neuen Testament festzuhalten. Philipp Lahr äusserte in der Mediation sogar den Verdacht, dass sehr wohl eine aktualisierte Version des Testaments existieren könnte, aber gar nicht alle Betroffenen ein Interesse hätten, das ein solches überhaupt gefunden würde. Er rettete sich vor einer direkten Anschuldigung an die Adresse von Frau Wotlow damit, dass er erwähnte ›ohne jemand Bestimmtes im Kopf zu haben‹. Den Anwesenden war aber klar, was er damit sagen wollte. Entsprechend reagierte Frau Wotlow geharnischt und verbat sich eine solche Unterstellung.

Die ganze Situation war vor Wochen eskaliert, als Sabine Wotlow Philipp Lahr unterstellte, seine Kompetenzen beim Kauf einer Drechselmaschine überschritten zu haben. Philipp Lahr reagierte heftig. Er warf Sabine Wotlow vor, ihn aus dem Betrieb treiben zu wollen. Zum Eklat kam es im Unternehmen, als Frau Wotlow Philipp Lahr aus ‚wirtschaftlichen Gründen‘ kündigte, worauf er diese Kündigung anfocht.

Die Mutter und der Bruder von Sabine Wotlow überzeugten die zwei Streithähne, eine Mediation zu versuchen. Die Mutter war der Ansicht, dass ein gemeinsamer Nenner vorhanden war: Der Fortbestand des Unternehmens. Ob sich die Zwei wieder verstehen würden oder nicht, stand nicht im Zentrum. Eine gütliche Trennung konnte ein Lösungsweg sein. Auch dies konnte als erfolgreiche Mediation verstanden werden. Ob dies eine Option war, mussten jedoch Frau Wotlow und Herr Lahr, mit meiner Unterstützung, erst noch herausfinden.

Ich ahnte, dies würde eine harte Nuss zum Knacken. Bei Frau Wotlow und Herrn Lahr waren viele tiefgehenden Verletzungen im Spiel. Das war jedoch auch die Chance für eine Mediation.

Wenn beide Parteien erkannten, aus welchen Gründen – Verletzungen, Ängste, Hoffnungen – gewisse Reaktionen ausgelöst wurden, dann konnte dies ein wichtiger Schritt in Richtung gegenseitigem Verständnis sein.

„Das bringt doch alles nichts!“, sagte Herr Lahr und machte eine wegwischende Bewegung in Richtung Frau Wotlow.

„Das ist auch meine Meinung!“, erwiderte Frau Wotlow nüchtern.

Beide schwiegen.

Ich konnte es mir beinahe nicht verkneifen laut auszusprechen, dass sie wenigstens bei diesem Punkt offenbar gleicher Meinung waren.

Ich wollte die kurze Pause jedoch nutzen, das Gespräch in Richtung Interessen zu lenken.

„Herr Lahr, was liegt Ihnen in Bezug auf die Zukunft der Firma besonders am Herzen?“, ich schaute Herr Lahr an und wartete.

Es bestand aus meiner Sicht immer noch die Chance, dass gemeinsame Interessen, wie der Fortbestand des Unternehmens, von beiden Parteien geäussert wurden. Falls diese Vermutung der Mutter von Frau Wotlow zutraf, war es zumindest möglich, die Sachebene besser von der persönlichen Ebene zu trennen. Ich war zuversichtlich, die Mediation bei meinen zwei Klienten in diese Richtung lenken zu können. Die Lösungsoptionen würden sie schlussendlich selbst finden. Eine Mediation hatte oft auch mit Geduld zu tun. Geduld für den Prozess. Geduld mit den Parteien.

(Ende des 3. Teils).

HR als Bindeglied bei innerbetrieblichen Konflikten

Die Funktion von Personalabteilungen (HR) hat sich in den letzten paar Jahren verändert. Gerade mit Blick auf New Work und digitalisierte Arbeitswelten kommen neuen Herausforderungen auf die Firmen und auf die HR-Teams zu.

Bernd Slaghuis und Nico Rose beschreiben in Ihrem Buch ‘Besser arbeiten’ die These / Forderung, dass es künftig eine Hauptaufgabe der Personalabteilung sein muss, die Unternehmenskultur zu verbessern. Ein Teil der Corporate Culture ist die Konfliktkultur!

Ich habe die Gelegenheit bei einem Kunden ein Konflikt-Management-Training für Führungskräfte zu machen. Dabei ist klar geworden, dass neben den Führungskräften den HR eine wichtig Rolle zukommt. Ich gehe davon aus, dass die primäre Verantwortung, Konflikte zu erkennen und zu adressieren bei den Führungskräften liegt. Es ist aber auch klar, dass die Leader eine Anlaufstelle benötigen, wenn sie für die Konfliktlösung Unterstützung benötigen oder diese delegieren wollen / müssen. Und diese Anlaufstelle kann HR resp. die HR Business Partner sein.

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Folgende Aufgaben sehe ich in der Verantwortung von HR:

  • Unterstützung in der Phase Konflikt-Entdeckung und -Analyse
  • Beratender Support für die Führungskraft in Konflikten
  • Ansprechstelle für Führungskräfte, wenn diese den Konflikt nicht selber behandeln können oder wollen
  • Unterstützung bei der Analyse von möglichen Lösungsansätzen in Konflikten (von Schlichtung zu Teamentwicklung über Trennung bis zu Entlassung)
  • Vermittlung von internen und externen Konfliktschlichtern / Mediatoren oder Teamentwicklern

Damit HR diese Aufgaben wahrnehmen kann, braucht es ebenfalls eine Ausbildung zu den folgenden Themenkreisen:

  • Konflikt-Management Basics (Definition, Konfliktarten- und Ursachen, Konfliktdynamik und Konfliktlösungsmodelle)
  • Ev. Grundausbildung Konfliktschlichtung / Mediation Basics
  • Wie organisiere ich eine externe Konfliktschlichtung richtig?
  • Wie finde ich einen geeigneten externe Konfliktschlichter / Mediator?
  • Wie trenne ich mich falls nötig ethisch von Mitarbeitern?

Ganz wichtig ist aber, dass HR zusammen mit dem Senior Management die Konfliktkultur aktiv gestaltet. Es ist dabei ganz wichtig, dass einerseits eine Haltung eingeführt werden kann, dass Konflikte normal und alltäglich sind. Weiter soll geklärt werden, wie Konflikte intern adressiert und behandelt werden. Die Mitarbeiter sollen das Vertrauen erhalten, dass Konflikte noch zu Bestrafungen führen. Vielmehr ist es wünschenswert, dass Konflikte als Chancen für einen Entwicklung betrachtet werden und die Mitarbeiter offen über diese sprechen dürfen / können.

David Bärtsch ist Unternehmensberater, systemischer Coach und Mediator. Er begleitet Firmen in der Gestaltung und Einführung von Unternehmenskultur (inkl. Konfliktkultur) vor allem auch vor dem Hintergrund von New Work / Arbeitswelt 4.0.

Spannende Mediations-Fälle von Klarau (2. Teil)

Mein Mediations-Kollege André Thommen hat die Idee aufgebracht, reale oder fiktive Mediations-Geschichten zu erzählen. Mit Hilfe von spannenden oder lustigen Geschichten könnte die Mediation und insbesondere die Wirtschaftsmediation einem breiteren Publikum nähergebracht werden. Mediation ist eine wunderbare Möglichkeit, Konflikte lösen zu helfen.

Die Basis meiner Geschichten bildet ein Kriminalroman, den ich 2012 unter dem Pseudonym ‚von Klarau‘ geschrieben habe. Der Hauptprotagonist im Roman ‚Schmuggelware‘ – Clement von Klarau – ist Mediator. Im Roman wird Clement ohne Zutun und Verschulden in ein Verbrechen verwickelt. Bei der Lösung des Falles helfen ihm seine Mediations-Fähigkeiten. Daneben geht er nach wie vor seiner Berufung und seinem Beruf als Mediator nach und hilft, Konfliktparteien ihre Auseinandersetzungen einvernehmlich zu lösen.

Aus der ersten Geschichte konnten die 5 Phasen einer Meditation herausgelesen werden. Im 2. Teil werden Sie weitere Protagonisten aus dem Roman kennenlernen. Sie werden diverse Mediations-Techniken im Einsatz erleben.

Ich hoffe, Sie haben ein wenig Spass beim Lesen der zweiten Episode und lernen dabei vielleicht etwas Neues über die Mediation, wie Mediatoren und Coaches denken und erfahren zudem das eine oder andere «Mediations-Geheimnis».

Hinweis: Da die Originale dieser Mediations-Geschichten in ein Buch eingebettet sind, kann es sein, dass einige Passagen auf Gegebenheiten, Orte oder Menschen hinweisen, die an anderer Stelle im Buch vorkommen. Entsprechend kann der Leser ein paar Details vermissen. Ich traue jedoch den Lesern zu, evtl. fehlende Elemente mit der eigenen Fantasie zu ergänzen.


Andreas Betschart


Handlung und Personen sind frei erfunden. Sollte es trotzdem Übereinstimmungen zu lebenden oder verblichenen Personen geben, so würden diese auf jenen Zufällen beruhen, die das Leben so vorgesehen hat.


„Die Kirche sagt, du sollst deinen Nächsten lieben.
Ich bin überzeugt, dass sie meinen Nachbarn nicht kennt“

— Peter Ustinov – 1921 – 2004, engl. Schriftsteller u. Schauspieler

Als Felicia und ich vor bald zwanzig Jahren heirateten, nahm ich ohne zu zögern den Namen meiner Frau an. Clement von Klarau hatte in meinen Ohren einen wohlklingenden Klang. Und es stand eh nie zur Debatte, dass Felicia ihren Familiennamen ablegen würde. Das waren wir auch eventuellen Nachkommen geschuldet, obwohl ich Felica erläutert hatte, dass ich keine Kinder wollte.

Zudem gefiel ich mir zugegebenermassen auch in der Rolle als Lehnsherr. Felicia gab mir nie zu spüren, dass ich kein Geborener von Klarau war.

Ganz anders mein Schwiegervater Paul.

Ich glaube, Paul hatte nicht persönlich etwas gegen mich. Jeder, der seine Tochter geheiratet hätte, wäre seiner Anfeindung ausgesetzt gewesen.

Paul und ich gaben uns seit Jahren Saures.

Wir waren zudem beide nicht auf den Mund gefallen, was zu entsprechend längeren Schlagabtauschen führen konnte.

Über die Jahre hatten wir unseren Kampf perfektioniert. Wir befanden uns über alles gesehen in einer Pattsituation.

Wenn ich ehrlich war, genoss ich auch unser Spiel und hätte ungern drauf verzichtet. Paul ging es sicher gleich. Nicht, dass wir das je zugegeben hätten.

Felicia hatte uns jedoch schon lange durchschaut und unterstützte jeweils immer einen von uns tatkräftig und sorgte so dafür, dass der ‚Konflikt‘ weiterschwelte. Dabei war sie unberechenbar. Keiner von uns konnte auf ihre Hilfe zählen. Sie konnte sowohl denjenigen von uns unterstützen, der gerade unter die Räder kam oder ihn auch gleich komplett Knock-out setzen.

Ich war 46 Jahre jung, fand mich attraktiv, smart, intelligent und ein wenig eingebildet.

Ich hatte vor Jahren meinen Beruf als IT-Software-Entwickler in einer Bank an den Nagel gehängt. Das war einer der Vorteile, in eine reiche Familie einzuheiraten: Arbeiten musste ich nicht mehr.

Ich hatte nie Mühe mit der Situation, dass meine Frau mehr Geld hatte. Mein Selbstwertgefühl war sehr ausgeprägt.

Untätig war ich jedoch nicht und wollte ich auch nicht sein. Dolce far niente war noch nie mein Ding gewesen.

Ich hatte mich weitergebildet und mich auf Mediationen spezialisiert, sowohl auf Wirtschafts- als auch Familienmediationen. Dabei verdiente ich auch gutes Geld und lag Felicia nicht auf der Tasche. Ich achtete auf regelmässige Arbeitszeiten: Montag bis Donnerstag ‚nine to five‘, was ich immer mal wieder gerne erwähnte, wenn ich meine ehemaligen Arbeitskollegen traf.

In der Mediation konzentrierte ich mich je länger je mehr auch auf Fälle, sprich Konflikte, mit nachbarschaftlichem oder familiärem Hintergrund. Dabei kam es nicht selten vor, dass ich meinen Stundenlohn stark reduzierte, wenn ich sah, dass beide Parteien finanziell nicht gerade gesegnet waren. Ganz verzichtete ich jedoch nie auf ein Entgelt, und wenn ich auf einen grösseren Teil verzichtete, so gab ich das erst bekannt, wenn die Mediation vor einem Abschluss stand.

Ich war der Ansicht, dass eine Bezahlung meiner Mediationstätigkeit immer gerechtfertigt war. Ich war kein Altruist und machte das nicht nur aus Menschenliebe. Zudem wurden die Parteien angehalten, den Mediationsprozess auch mit der notwendigen Ernsthaftigkeit und Konzentration anzugehen. Es war ja ihr Geld. So platt das auch tönte: Ich hatte die Erfahrung gemacht, dass wenn die Mediation gar nichts kostete, auch der Wert dementsprechend geringer betrachtet wurde.

Für den Ort der Durchführung einer Mediation hatte ich eine eiserne Regel: Mediationen fanden nur bei mir zuhause statt.

Dazu nutzte ich das Kaminzimmer.

Das brachte mit sich, dass ich auch nicht alle Fälle zugesprochen bekam. Gerade in der Wirtschaftsmediation, wenn es um den Konflikt zweier Unternehmen oder auch innerbetrieblicher Konflikte ging, waren mitunter die Örtlichkeiten der Gespräche eine heikle Angelegenheit.

So konnte es sein, dass eine Partei aus Granburg sich sehr wohl für die Durchführung der Gespräche in meinem Haus aussprechen konnte, jedoch z.B. eine Partei der Stadt Moltenberg, die 20km entfernt im Bezirk Weiningel ihren Sitz hatte, dies schon als parteiisch empfand. Ich fackelte bei solchen Querelen nicht lange: Vogel friss oder stirb war hier mein Motto.

Ich betrieb Mediation seit fünf Jahren. Die meisten Mediationen hatte zur Zufriedenheit der Parteien gelöst. Ich hatte aber auch Misserfolge.

Bezeichnend war, dass ich den eigenen Konflikt mit meinem Schwiegervater Paul nicht lösen konnte, wobei wahrscheinlich auch kein wirklicher Handlungsbedarf bestand. Dieser Konflikt war da, um gelebt zu werden.

Neben der Mediation war ich auch im Täter-Opfer-Ausgleich tätig. Hier kam die Initiative jeweils immer von der Staatsanwaltschaft oder von einem Gericht aus. Dabei stand die Wiedergutmachung einer Tat durch den Täter gegenüber dem Opfer im Zentrum. Der Täter hatte dabei erhebliche persönliche Leistungen zu erbringen oder Entschädigung zu leisten. Verfahrenstechnisch gab es viele Parallelen zur Mediation. Der Beginn war jedoch anders, so führte ich immer getrennte Vorgespräche durch, bevor ich die Parteien bei mir zu Gesprächen zusammenführte.

In der Tätigkeit als Mediator hatte ich meine Berufung gefunden. Ich hatte Spass an der Mediation und freute mich, wenn ich die Konfliktparteien so weit brachte, dass sie selbst gangbare und für alle Seiten tragbare Lösungen entwickelten.

——————

Es war 10.15 Uhr und mein Schwiegervater Paul hatte Frau Nassauer und Herr Assgauer Punkt 10.00 Uhr an der Haustüre empfangen und in das Kaminzimmer geführt.

Beim ersten Besuch der zwei Kontrahenten vor ein paar Tagen, hatte Paul noch alle seine schauspielerischen Fähigkeiten eingesetzt. Bei seinem Kotau hatte sein Kopf beinahe das Parkett berührt. Das Verhalten von Paul hatte bei Frau Nassauer und Herr Assgauer zu grosser Verwirrung geführt. Ich vermutete, sie fühlten sich auch ein wenig eingeschüchtert. Paul hatte bestimmt seinen Spass.

Ich musste mich konzentrieren, damit ich die beiden Nachnamen der Klienten nicht vertauschte. Herr Assgauer und Frau Nassauer. Eine falsche Anrede wäre zur Beilegung des Konfliktes von Frau Nassauer und Herrn Assgauer nicht förderlich gewesen.

Herr Assgauer hatte ein leicht herzförmiges Gesicht, also stellte ich mir eine Spielkarte mit dem Herz-Ass vor. Ass für Assgauer.

Frau Nassauer hatte leichte Anzeichen von Tränensäcken unter den Augen und ich kombinierte das mit ‚Nass‘. Also Nass für Nassauer.

Et voilà. Eine altbekannte Technik, damit ich mir mit Hilfe von Bildern, die entsprechenden Gesichter und Namen merken konnte.

Ich legte grossen Wert auf eine profunde Vorbereitung und Organisation einer Mediation. Dazu gehörte auch, fallspezifisch zu entscheiden, welches die beste Sitzordnung war. Ich überlegte mir, welche Sitzgelegenheiten ich im Kaminzimmer für die Mediation nutzen wollte.

Eine Mediation musste nicht zwingend an meinem Schreibtisch stattfinden. Ich hatte die Möglichkeit die Gespräche auf dem Sofa oder am runden Tisch durchzuführen. Ich hatte auch schon auf die Nutzung eines Tisches verzichtet. Die meisten Menschen hatten jedoch das Bedürfnis, sich an einem Tisch ›festzuhalten‹. Das gab ihnen Sicherheit und Halt. Viele Klienten schätzten es zudem, dass ein unverrückbarer Gegenstand zwischen ihnen und ihren ›Kontrahenten‹ stand. Ich liess mich bei der Entscheidung für den genauen Ort für die Durchführung der Gespräche jeweils von meinem Bauchgefühl leiten. Der erste Eindruck der Personen war dabei relevant. Diesen Eindruck gewann ich bereits bei der Begrüssung. Ich beobachtete sehr genau, wie sich die Klienten zueinander und gegenüber mir verhielten.

Meistens entschied ich mich für den runden Tisch. Die Erfahrung hatte mich gelehrt, dass die Parteien ein Gespräch an einem runden Tisch oft entspannter führten, als dies bei einem eckigen Tisch der Fall war. Das hörte sich banal an, war aber auch eines der Puzzleteile einer erfolgreichen Mediation. Die Parteien hatten bei einem runden Tisch die Möglichkeit ihr Position leicht zu verändern, wodurch sie sich nicht frontal gegenübersassen. Das konnte hilfreich sein. Bei einem runden Tisch rückte auch meine Rolle nicht ganz so stark ins Zentrum, wie wenn ich die Gespräche von meinem Schreibtisch aus führte. An einem runden Tisch war ich buchstäblich ein Teil der Runde. Es gab jedoch Ausnahmen. Ich hatte sehr wohl schon mitten in Gesprächen, die wir am runden Tisch begonnen hatten, zum Schreibtisch gewechselt. Dies verschaffte mir eine bessere Position bei Streithähnen, die eine ’starke Hand›, zumindest zu Beginn einer Mediation, benötigten.

Bei den Parteien Assgauer und Nassauer ahnte ich, dass ich eine solche Rolle einnehmen musste und hatte mich für den Schreibtisch entschieden. Die Parteien sassen mir gegenüber.

«Sie haben gut reden, Sie sind ja nicht in der Situation!“, hörte ich Barbara Nassauer sagen. Sie hatte recht. Es war jedoch für ein Weiterkommen in der Mediation notwendig, dass sie wenigstens versuchte, die vertrackte Situation mit Herrn Assgauer von einer anderen Warte aus zu betrachten. Ich entnahm dem Tonfall und ihrer Haltung während des Gesprächsverlaufs, dass sie sehr wohl an einer einvernehmlichen Lösung interessiert war. Dies traf auch auf die Gegenseite von Barbara Nassauer zu. Franz Assgauer, mit dem ich Minuten vorher einen ähnlichen Dialog geführt hatte, war bereit gewesen, sehr offen über seine Wahrnehmung und Gefühle zu sprechen. Er hatte treffend seine unnachgiebige Haltung gegenüber Frau Nassauer und die Auslöser, die dazu geführt hatten, beschrieben.

Ich hatte bei den Ausführungen von Herrn Assgauer die Reaktionen von Barbara Nassauer beobachtet und festgestellt, dass sich ihr Gesichtsausdruck von absoluter Ablehnung und Verschlossenheit, zu Interesse gewandelt hatte. Sie lauschte den Äusserungen von Herrn Assgauer interessiert. Das war auch der Moment, bei dem ich ihr den Ball zuspielte, der ihr ermöglichte, das Gehörte zu reflektieren.

„Frau Nassauer, was meinen Sie? Sind Sie dabei, mit mir mal etwas zu versuchen? So wie ich Sie während der Mediation kennengelernt habe, machen Sie bestimmt mit.“

Sie schaute überrascht und neugierig. Ich fuhr fort: „Stellen Sie sich vor, sie können in Gedanken allen Ärger und die erfahrene Kränkung beiseitelegen. Wenn Sie sagen ‚einfacher gesagt als getan‘, dann haben Sie recht. Daher machen wir es so. Versetzen Sie sich mal in meine Position.“ Barbara Nassauer machte grosse Augen und hatte noch keine Ahnung, worauf ich hinauswollte. „Stellen Sie sich einfach mal vor, Sie sind der Mediator und sitzen auf meinem Stuhl. Sie betrachten von meiner Warte aus Herrn Assgauer und sich selbst. Versuchen Sie es mal. Funktioniert es?»

Sie schaute skeptisch: «Nun, mehr oder minder kann ich mir das vorstellen. Aber was soll das bezwecken?»

Ich erläuterte: «Sie sehen also wie Sie im schwarzen Sessel, an meinem Platz sitzen. Die Hände auf dem Schoss gefaltet. Können Sie sich das Bild vorstellen?“ Barbara Nassauers Gesichtsausdruck veränderte sich. Ich sah, wie sie sich anstrengte, sich in meine Position zu versetzen.

Sie erwiderte konzentriert: „O.k. ja, ich denke schon.“

Ich fuhr fort: „Sie sitzen also auf meinem Stuhl. Sehen Sie sich selbst?“

„Ja, doch.“

„Beschreiben Sie mal, wie Sie die Haltung und Stimmung von Frau Nassauer beschreiben würden, wenn Sie den bisherigen Verlauf Revue passieren lassen?“

Ich versuchte die Bereitschaft bei Barbara Nassauer zu steigern, ihre eigene Position und ihr Verhalten zu hinterfragen. Erst daraus konnte ein Verständnis auch für das Verhalten der Gegenseite entstehen. Es war eine Einstellungsänderung gefordert. Dabei ging es mir erst mal darum, dass Barbara Nassauer ihre derzeit einzige Sichtweise durchbrach oder erweiterte. Das war leicht gefordert und schwer umzusetzen. Dieser durch mich initiierte und angeleitete Perspektivenwechsel und Rollentausch funktionierte nicht immer und ich war auch vorsichtig bei dessen Anwendung. Nicht alle Menschen konnten solche Gedankenspiele nachvollziehen, da die entsprechende Person über zwei Ecken denken mussten. In diesem Falle musste sich Frau Nassauer in meine Position begeben und sich dann selbst aus meiner Optik beschreiben. Bei Barbara Nassauer war ich jedoch überzeugt, dass sie genug Vorstellungskraft aufbrachte, dies zu bewerkstelligen.

Da Konflikte von Kränkungen und Ärger geprägt waren, konnten die Parteien jeweils ihre Positionen nicht auf die Schnelle verlassen. „Ich mache sicher nicht den ersten Schritt!“ oder ähnlich Aussagen deuteten jedoch schon darauf hin, dass eine Grundbereitschaft da war, überhaupt einen Schritt hin zu einer gemeinsamen Lösung zu machen. Oft standen sich die Leute jedoch selbst im Wege und wollten ihr Gesicht nicht verlieren. Sie wollten nicht als diejenigen dastehen, die zu schnell nachgegeben hatten. Das konnte aus ihrer Sicht als Schwäche ausgelegt werden und ihre Verhandlungsposition unterminieren. Noch schlimmer, viele Leute hatten Bedenken, der Gegenseite dabei sogar zusätzliche Munition zu liefern. In solchen Situationen bot ich mit dem Rollentausch den Parteien eine Möglichkeit, gesichtswahrend und unverbindlich Gefühle oder auch schon Optionen anzusprechen. Mir gegenüber als neutrale Partei konnten sie sogar ihre Haltungen und Lösungsideen frei formulieren auch oder gerade, wenn die andere Partei im Raum anwesend war.

Frau Nassauer beschrieb treffend und wortreich, wie sie sich selbst sah und fühlte. Sie erwähnte ihren Ärger und ihre Wut und insbesondere auch die Trauer über ihre Pflanzen. Später, als sie die Aussagen von Herrn Assgauer hörte, beschrieb sie, wie sie sich selbst sah: Betroffen und überrascht von den Schilderungen ihres Nachbarn. Sie liess auch durchblicken, dass sie in gewissen Punkten vielleicht zu voreilige Schlüsse gezogen hatte.

Franz Assgauer hatte uns über seine Haltung aufgeklärt und somit den ersten Schritt gemacht: „Wissen Sie Herr von Klarau, ich war total gekränkt von der Art, wie Frau Nassauer von mir eine Entschädigung forderte. Ich wäre ja bereit gewesen, ihr auch etwas zu zahlen, wenn sie zugeben hätte, dass sie sich im Ton und der Art vergriffen hatte. Aber nein. Sie hat mich runtergeputzt. Sie müssen doch zugeben, da ist es verständlich, dass ich auf stur schalte. Klar, eventuell habe ich ein wenig überreagiert, kann schon sein. Aber das auch nur, weil Frau Nassauer mir dann auch noch mit der Polizei und Sonstigem gedroht hat.“ Aus Erfahrung kam die Mediation mit solchen oder ähnlichen Aussagen einen gewaltigen Schritt vorwärts. Das waren genau die Schlüsselmomente, auf die wir hinarbeiten mussten. Solche Aussagen ermöglichten, die verhärteten Sichten aufzuweichen. Ich konnte es höchstens noch verpfuschen.

Ich stellte fest, dass Barbara Nassauer Franz Assgauer interessiert zugehört hatte und es war offenkundig, dass sie über das Gehörte nachdachte. Sie verband die Aussage von Franz Assgauer mit ihrer Wahrnehmung des Erlebten. Sie erkannte, dass auch ihr Verhalten eine Reaktion bei der Gegenpartei, in Person von Herrn Franz Assgauer, ausgelöst hatte.

Meine Aufgabe war nun, dass diese Erkenntnisse bestätigt wurden und sich setzten. Dazu paraphrasierte ich die Aussage von Franz Assgauer: „Habe ich Sie richtig verstanden Herr Assgauer, dass Sie sich durch die Art und Weise, wie Frau Nassauer Ihnen gegenüber die Forderung gestellt hatte, gekränkt fühlten?“ Dabei betonte ich die ‚Art und Weise‘ leicht und schaute bei der Nennung von Barbara Nassauer diese auch kurz an. Ich nutzte auch das Wort ›fühlen‹, da damit kein vermeintlicher Fakt ausgesprochen wurde, der unterschiedlich beurteilt werden konnte. Gefühle waren individuell und jeder akzeptierte, dass diese persönlich und somit ›wahr‹ waren. Eine solche, subtile Vorgehensweise war entscheidend in einer Mediation. Die Leute mussten beginnen darüber zu sprechen, was genau sie aufgewühlt hatte. Die Gegenpartei hatte dann die Möglichkeit, sich wiederum in das Gegenüber zu versetzen.

Ich sprach Herrn Assgauer an: „Sie haben dann erwähnt, dass sie eventuell ein wenig überreagiert haben, als Frau Nassauer sogar mit der Polizei drohte.» Ich formulierte dies als Feststellung und liess die Aussage jedoch wie eine Frage ausklingen. Franz Assgauer nickte bestätigend. Er fühlte sich von mir verstanden.

„Das habe ich doch gar nicht so ernst gemeint“, beschwichtigt Frau Nassauer. „Ich habe mich einfach so geärgert, dass sie mir die Türe vor der Nase zugeschlagen haben. Das war nicht die feine Art.“

„Das gebe ich zu, ist wirklich nicht ein feines Verhalten, ist auch sonst nicht meine Art, anderen Leuten die Türe vor der Nase zuzuschlagen“, erwiderte Herr Assgauer, „aber Sie haben an meiner Tür geklingelt und mir dann, ohne guten Tag zu sagen, an den Kopf geworfen, dass ich Ihre Blumen ertränkt hätte. Ich war nur baff. Dann haben Sie verlangt, dass ich den Fernseher abstellen sollte, den ich im Hintergrund laufen liess, während wir an der Türe sprachen. Das fand ich eine Zumutung. Ich war nämlich gerade am Schauen des Champions-League Halbfinal-Spiels zwischen Chelsea und Liverpool. Und trotzdem bin ich an die Türe gekommen.»

«Darum hat das so lange gedauert, bis Sie die Türe geöffnet haben», sagte Frau Nassauer, «ich dachte, Sie wollten einfach nicht mit mir sprechen, weil Sie ein schlechtes Gewissen hatten.»

«Wie hätte ich denn wissen können, dass Sie es sind Frau Nassauer?», erwiderte Herr Assgauer, «zudem habe ich mich eh darüber geärgert, dass überhaupt jemand während dieses wichtigen Fussballspiels an der Türe läutet. Habe dann auch ein wenig länger gewartet. Sie haben aber auch nicht aufgehört zu läuten, Frau Nassauer.“

„Ich habe eben den Fernseher gehört und gewusst, dass Sie anwesend sind“, warf Frau Nassauer dazwischen.

„Wie dem auch sei, ich bin ja an die Türe gekommen. Sie haben dann, ohne richtig Hallo zu sagen, begonnen mich zurechtzuweisen. Ob ich eine gute Kinderstube gehabt hätte, ob es normal sei, dass ich den Fernseher laufen liesse, wenn ich mich mit Leuten unterhalte. Ob ich die Pflanzen willentlich getötet hätte. Ich war echt perplex. Dann haben Sie mir eine ihrer Zimmerpflanzen entgegengestreckt und mir vorgeworfen, dass ich diese – und andere ihrer Art – während meines gutnachbarschaftlichen Zimmerpflanzengiessdienstes bei Ihnen ertränkte hätte.“

„Ich habe mich eben total aufgeregt, ich hänge sehr an meinen Pflanzen“ erwiderte Frau Nassauer kleinlaut. „Und da komme ich nach zwei Wochen aus meinen Ferien zurück, die eh schon völlig verregnet waren, freue mich auf meine Pflanzen und alle sind tot. Ertränkt durch Sie, wie ich dann schnell festgestellt hatte.“

„Ich weiss doch, dass Sie an ihren Pflanzen hängen, Frau Nassauer. Darum habe ich mich ja vor Ihren Ferien auch sofort bereiterklärt, diese während Ihrer Abwesenheit zu giessen. Habe es wirklich nur gut gemeint. Ich war der Ansicht, die bräuchten einfach mehr Wasser. Aber dass Sie mich dann so zur Schnecke machen, war zu viel. Sie haben begonnen meine Kinderstube zu erwähnen, die – wohlgemerkt – geprägt war von einem sehr autoritären Erziehungsstil meines Vaters. Mein Vater hat mir einwandfreie Manieren eingebläut, glauben Sie mir. Und in diesem Moment kommen Sie und erinnern mich an meine Kinderstube. Das hat mich dann doch sehr getroffen. Dabei hatte ich wirklich Freude, dass ich Ihnen mit dem Pflanzengiessen vermeintlich eine Freude habe machen können.“

„Oh, die Aussage mit der Kinderstube tut mir leid. Ich war Ihnen ja auch sehr dankbar, dass Sie das mit dem Blumengiessen übernommen haben. Heute ist es ja zum Teil schwer, nette und hilfsbereite Nachbarn zu haben. Jeder ist für sich alleine. Kontakte werden vermieden. Ich finde das schade, mache aber zugegebenermassen auch wenig, um das in meinem Umfeld zu ändern. Ist eigentlich kein Wunder, dass sich Nachbarn nicht mehr helfen. Wir hatten ja bis anhin auch wenig Kontakt. Da meine Kinder zur gleichen Zeit wie ich in den Ferien weilten, hatte ich leider niemanden aus der Familie, der das Pflanzengiessen für die zwei Wochen übernehmen konnte. Daher habe ich Sie gefragt. Sie wohnen ja auf der gleichen Etage wie ich, gleich gegenüber, daher dachte ich einfach …“, sie zögerte.

„Wie gesagt Frau Nassauer, ich fand es toll, dass sie mich gefragt haben. Wir leben ja auch schon fünf Jahre Tür an Tür …“

„Sechs“, unterbrach ihn Frau Nassauer.

„Ah, sechs Jahre… Auf alle Fälle hatten wir während dieser sechs Jahre kaum Kontakt. Hat vielleicht mal für ,guten Morgen‘ und ‚guten Abend‘ gereicht. Sonst haben wir, denke ich, kein Wort gewechselt. Ich habe nicht so viel Kontakt mit anderen Leuten und ich gebe zu, dass ich einfach Freude hatte, dass ich jemanden, Ihnen, helfen durfte. Seit ich pensioniert bin, werde ich nicht mehr von vielen um Rat angefragt, geschweige denn gebeten, bei irgendwas zu helfen.“

„Tut mir leid“, sagte Frau Nassauer bedrückt, „ich wollte Sie nicht kränken Herr Assgauer, ich kann ahnen, wie sich das anfühlt, wenn man alleine ist. Ich habe zwar das Glück, dass mein Sohn und meine Tochter mich regelmässig besuchen kommen, aber seit mein Mann gestorben ist, sind die Tage deutlich länger geworden. Tut mir leid, wenn ich das erwähne, aber ich habe auch festgestellt, dass Sie selbst fast nie Besuch bekommen. Das Haus ist ja doch sehr ringhörig“, sagte sie mit einem verschämten Blick nach unten, als ob sie gerade beim Lauschen ertappt worden wäre.

Es trat von beiden Seiten betretenes Schweigen ein. Ich hatte die ganze Zeit nur zugehört und nicht eingegriffen. Beide schauten mich gleichzeitig an und ihre Blicke fragten mich ›und nun, Herr von Klarau, wie geht es weiter?‹

„Frau Nassauer, Herr Assgauer, ich muss nicht nochmals alles zusammenfassen. Sie Frau Nassauer haben verstanden, warum Herr Assgauer so reagiert hat und Sie Herr Assgauer können ebenfalls die Reaktion von Frau Nassauer nachvollziehen“. Beide nickten und schauten sichtlich betreten.

„Gut“, fuhr ich weiter, „Ich danke Ihnen beiden sehr, dass sie so offen und ehrlich über das gesprochen haben, was Sie bewegt. Das haben Sie wirklich gut gemacht.“ Ich machte eine Pause.

„Nun, Frau Nassauer, was das ursprüngliche Streitobjekt, nämlich der Ersatz Ihrer Pflanzen respektive die Wiedergutmachung betrifft …“ setzte ich bewusst langsam an.

„Ich würde mich sehr freuen, wenn ich die Pflanzen ersetzen könnte“, sagte Herr Assgauer schnell, bevor Frau Nassauer was sagen konnte.

„Frau Nassauer, was sagen Sie dazu?», fragte ich.

Meine Rolle beschränkte sich nun nur noch darauf, als Vermittler für die abschliessenden ‚Verhandlungen‘ zwischen Frau Nassauer und Herrn Assgauer zu fungieren. Ich wollte sicherzustellen, dass konkrete nächste Schritte und Massnahmen vereinbart wurden. Auch wenn das im vorliegenden Falle nicht mal im Zentrum stand. Ich beendete jedoch keine Mediation, wenn nicht konkrete Massnahmen vereinbart wurden. Es war auch in diesem Falle nicht damit getan, nur zu quittieren, dass sich zwei gefunden hatten. Ich konnte nicht davon ausgehen, dass die zwei, zwar an Erkenntnis reicheren Klienten, ohne weiteren Anschub den Rest hinkriegten. Die Basis war stabil, ich wollte jedoch zur Resultatssicherung, Frau Nassauer und Herr Assgauer dazu bringen, auch konkrete nächste Schritte einzuleiten.

„Ich nehme das Angebot von Herrn Assgauer gerne an“, sagte Frau Nassauer immer noch zu mir gerichtet.

„Und wie stellen Sie sich das genau vor?“, fragte ich, ohne jemanden Speziellen damit anzusprechen.

„Nun, Sie sagen mir, wie viel die neuen Pflanzen kosten und ich gebe Ihnen das Geld“, sagte Herr Assgauer direkt zu Frau Nassauer gerichtet. Frau Nassauer runzelte die Stirn.

„Was wären Alternativen?», fragte ich Herrn Assgauer, der sehr wohl auch das leichte Stirnrunzeln von Frau Nassauer bemerkt hatte. So ergänzte er rasch „Ich könnte Sie auch bei einem Pflanzenkauf begleiten, wenn Sie möchten. Ich meine nur, wenn Sie das nicht stört“, präzisierte er hastig, um ja keinen falschen Eindruck zu hinterlassen. «Ich meine sonst ist das ja so unpersönlich.».

„Gut, was wäre sonst noch denkbar? Was meinen Sie Frau Nassauer?“ fragte ich.

„Also ich finde das mit dem gemeinsamen Pflanzenkauf eine gute Idee. Wenn Sie mir einfach nur das Geld geben Herr Assgauer, empfinde ich das doch eher als Geringschätzung“, ergänzte sie.

Ich wiederholte meine vorhergehende Frage „Sehen Sie neben dem gemeinsamen Pflanzenkauf noch andere Möglichkeiten?“

Frau Nassauer dachte nach: „Ich weiss ja nicht, ob das eine gute Idee ist, aber Herr Assgauer könnte mich ja auch zum Essen einladen. Also, ich muss noch ergänzen, dass ich noch gar nicht weiss, ob ich das überhaupt möchte», sagte sie schnell. «Sie Herr von Klarau haben mich aber nach Ideen gefragt“, sagte sie beinahe entschuldigend.

„Da haben Sie recht Frau Nassauer, ich habe Sie beide tatsächlich gebeten, einfach mal Ihre Ideen zu äussern. Sie können gemeinsam festlegen, welche Ideen Sie beide weiterverfolgen und welche Sie verwerfen», erwiderte ich. „Und was sagen Sie Herr Assgauer?“

Herr Assgauer konnte seine Begeisterung nicht verhehlen: „Also ich gebe zu, ich finde das eine tolle Idee. Ich würde Sie gerne zu einem Abendessen in ein nettes Restaurant einladen, Frau Nassauer. Dann komme ich auch wieder mal unter Leute und Sie können sich freuen, dass Ihr komischer Nachbar sozusagen mal zu Besuch bekommt“.

Er lächelte scheu.

„Gut und was ist Ihr Beitrag Frau Nassauer?“, fragte ich unvermittelt.

„Mein Beitrag?“, fragte die Angesprochene verwundert zurück.

„Nun ja, wahrscheinlich ersetzt Ihnen Herr Assgauer die Pflanzen, sicher jedoch lädt er Sie zu einem guten Essen ein. Und was machen Sie?“

„Ähm…nun…“, sie verstand. „Tja, ich kann nicht viel mehr anbieten, als meine Entschuldigung, dass ich überreagiert habe“, sagte sie in meine Richtung. Ich nickte fast unmerklich mit dem Kopf in Richtung von Herrn Assgauer.

„Also…ähm…Herr Assgauer“, räusperte sich Frau Nassauer.

„Ist nicht notwendig!“, erwiderte dieser schnell.

„Doch ist es!“, sagte sie bestimmt. «Herr von Klarau hat absolut recht, dass er mich darauf aufmerksam macht. Ich möchte mich, nein ich möchte nicht nur, sondern ich entschuldige mich bei Ihnen für meine rüden Worte über Ihre Kinderstube und dass ich Ihnen unterstellt habe, meine Pflanzen absichtlich getötet zu haben. Das war nicht nett von mir und ich danke Ihnen im Nachhinein, dass Sie zumindest versucht haben, meine Pflanzen zu giessen.“

Ich musste mir ein Lachen über die letzte Aussage verkneifen.

„Ich nehme Ihre Entschuldigung gerne an Frau Nassauer“, sagte Herr Assgauer.

Der Rest waren nur noch Formalitäten. Ich fasste alles nochmals zusammen und bot ihnen entsprechende Unterstützung an, falls sie nochmals meine Hilfe wünschten. Ich erklärte ihnen auf Rückfrage von Herrn Assgauer, dass ich ihnen die Rechnung wie vereinbart zu gleichen Teilen in den nächsten Tagen zustellen würde.

Es war kurz vor zwölf, als ich die beiden zur Türe begleitete. Hand in Hand verliessen die beiden das Haus nicht, zumindest noch nicht. Ich hatte mich gegen Schluss der Mediation eher wie ein Kuppler gefühlt. Wahrscheinlich hatte ich wieder mal meine eigenen Grundsätze nicht ganz eingehalten. Ich hatte die Geschicke so gelenkt, wie ich es für gut befunden hatte. Ein schlechtes Gewissen hatte ich deswegen keines.

Ich verabschiedete beide mit einem Händedruck. Frau Nassauer gab ich, wie es sich gehörte, zuerst die Hand.

Ich sagte: „Auf Wiedersehen Frau Assgauer», …und biss mir auf die Zunge.

(Ende des 2. Teils).

Der Chef* als Mediator – kann das funktionieren?

Immer mehr Firmen werden sich bewusst, dass ein positiver, aktiver Umgang mit Konflikten für den nachhaltigen Unternehmenserfolg wichtig ist. Es bringt nichts, Konflikte unter den Tisch zu kehren und zu hoffen, dass sie schon von alleine wieder weg gehen. Eine solche Haltung wirkt sich nicht nur negativ auf das Betriebsklima, sondern auch auf die Psyche der Mitarbeiter aus. 

Konflikte sind normal, allgegenwärtig, KEIN Zeichen von Schwäche oder Unfähigkeit und können sogar zu Verbesserungen im Umgang miteinander, der Zufriedenheit aller Beteiligten und der Produktivität der Mitarbeiter und damit des Unternehmensergebnisses führen. Aber eben, dazu müssen sie aktiv angegangen werden.

Viele Firmen beschäftigen sich zurzeit damit, ihre Mitarbeiter im Umgang mit Konflikten zu schulen und bieten Konflikttrainings an. Dabei werden sie sich auch bewusst, dass das Beiziehen eines externen Mediators vorteilhaft sein kann. Wie gut aber funktioniert es, wenn die Erwartung ist, dass der Teamleiter oder die Geschäftsleitung selbst als Konfliktlöser bzw. Vermittler fungieren?

Vorteile des Chefs als Mediator sind, dass er

  • Die Mitarbeiter kennt
  • Die Firmenkultur versteht
  • Bereits vor Ort und verfügbar ist

Nachteile sind, dass er

  • Die Mitarbeiter kennt
  • Die Firmenkultur versteht
  • Bereits vor Ort und verfügbar ist

Aber Spass beiseite. Selbstverständlich gibt es immer zwei Seiten der Medaille. Einerseits hilft es bestimmt, die Situation zu kennen und einschätzen zu können. Andererseits kann es aber auch Nachteile haben, dann nämlich, wenn der Chef selbst auf die eine oder andere Art und Weise bereits in den Konflikt involviert ist, eine Beziehung (gut oder schlecht) zu einer der Konfliktparteien hat und sich so (unbewusst) parteiisch verhält, oder sich seine Konfliktkultur (oder sogar die des Unternehmens) nicht mit dem mediativen Ansatz – also den Konflikt aktiv anzugehen – vereinbaren lässt. Es kommt also auf die Situation an, ob die interne Konfliktlösung funktioniert.

Voraussetzung, dass der ‘Chef als Mediator’ Ansatz funktionieren kann, ist sicher die Grundeinstellung der entsprechenden Person sowie die Kultur der Firma. Ebenso wichtig ist die Wertschätzung den Mitarbeitern gegenüber sowie das Interesse an ihnen. Weiter ist eine Offenheit anderen Denkweisen gegenüber aber auch Neugier auf (teilweise) ungewöhnliche Lösungen äusserst wichtig. Unabdingbar ist die Bereitschaft zuzuhören und so Konflikte auch frühzeitig zu erkennen und anzugehen, nicht erst, wenn alles schon eskaliert ist – also auch ein gewisses Mass an Emotionaler Intelligenz (EI) ist hilfreich. 

Sind diese Grundvoraussetzungen gegeben, können konkrete Tipps und Werkzeuge, die z.B. in einem Konflikttraining vermittelt werden sowie Teamentwicklungsmassnahmen dazu beitragen, dass der Ansatz ‘Chef als Mediator’ funktionieren kann. Einblick in den Prozess und Ansatz der interessenbasierten Mediation sind auf jeden Fall hilfreich, egal, in welchem Umfeld die Konfliktlösung angesiedelt ist. 

Im Endeffekt läuft ein erfolgreicher Ansatz auf die drei Ps hinaus: Personen – Prozess – Problemlösung! 

Unterstützend zur innerbetrieblichen Konfliktlösungsorganisation sollte auf jeden Fall der Zugang zu einer unabhängigen Beratungsstelle als organisatorische Massnahme in Erwägung gezogen werden – wenn es intern mal wirklich nicht weitergeht. 

Kontaktieren Sie uns gerne, um über diese Möglichkeit zu sprechen.

*In vorliegendem Text ist immer die m/w/d Variante gemeint.