Spannende Mediations-Fälle von Klarau (3. Teil)

Mein Mediations-Kollege André Thommen hat die Idee aufgebracht, reale oder fiktive Mediations-Geschichten zu erzählen. Mit Hilfe von spannenden oder lustigen Geschichten könnte die Mediation und insbesondere die Wirtschaftsmediation einem breiteren Publikum nähergebracht werden. Mediation ist eine wunderbare Möglichkeit, Konflikte lösen zu helfen.

Die Basis meiner Geschichten bildet ein Kriminalroman, den ich 2012 unter dem Pseudonym ‚von Klarau‘ geschrieben habe. Der Hauptprotagonist im Roman ‚Schmuggelware‘ – Clement von Klarau – ist Mediator. Im Roman wird Clement ohne Zutun und Verschulden in ein Verbrechen verwickelt. Bei der Lösung des Falles helfen ihm seine Mediations-Fähigkeiten. Daneben geht er nach wie vor seiner Berufung und seinem Beruf als Mediator nach und hilft, Konfliktparteien ihre Auseinandersetzungen einvernehmlich zu lösen.

Die beiden ersten Episoden finden Sie hier:

1. Teil –
«Die höchste Form menschlicher Intelligenz ist, zu beobachten ohne zu bewerten»

2. Teil – «Die Kirche sagt, du sollst deinen nächsten lieben. Ich bin überzeugt, dass sie meinen Nachbarn nicht kennt.»

Ich hoffe, Sie haben beim Lesen der dritten Episode ein wenig Spass und lernen dabei vielleicht etwas Neues über die Mediation, wie Mediatoren und Coaches denken und erfahren zudem das eine oder andere «Mediations-Geheimnis».

Hinweis: Da die Originale dieser Mediations-Geschichten in ein Buch eingebettet sind, kann es sein, dass einige Passagen auf Gegebenheiten, Orte oder Menschen hinweisen, die an anderer Stelle im Buch vorkommen. Entsprechend kann der Leser ein paar Details vermissen. Ich traue jedoch den Lesern zu, evtl. fehlende Elemente mit der eigenen Fantasie zu ergänzen.


Andreas Betschart


Handlung und Personen sind frei erfunden. Sollte es trotzdem Übereinstimmungen zu lebenden oder verblichenen Personen geben, so würden diese auf jenen Zufällen beruhen, die das Leben so vorgesehen hat.


Goethe als Mediator?

„Was du ererbt von deinem Vater hast, erwirb es, um es zu besitzen.“

— Johann Wolfgang von Goethe, Faust I, Vers 682f

«Was erlauben Sie sich! Was glauben Sie eigentlich Herr Lahr, wer Sie sind?! Seit sieben Generationen befindet sich das Unternehmen Wotlow in Besitz MEINER Familie. Ich trage nicht umsonst diesen Namen. Ich bin eine Wotlow! Da können Sie doch nicht behaupten, dass mein Vater Sie als Nachfolger vorgesehen hat!“ brüllte Sabine Wotlow ihr Gegenüber Philipp Lahr an. Ohne Philipp Lahr Zeit für eine Erwiderung zu geben, fuhr Frau Wotlow aufgebracht fort: „Schön für Sie, dass Sie seit 20 Jahren Meister im Betrieb sind und danke Ihnen für Nichts. Klar haben Sie meinen Vater unterstützt. Ha! Zum Guten war es eh nicht und jetzt ist Schluss. SIE fahren meine Firma nicht an die Wand. Ich bin jetzt rechtmässige Geschäftsführerin, die Erbengemeinschaft hat mich eingesetzt. Jetzt bin am Ruder und nicht Sie!“

„Dies ist lediglich Ihr persönlicher Feldzug gegen mich Frau Wotlow! Sie wollen mich schlicht und einfach fertigmachen“, ereiferte sich der 53-jährige Philipp Lahr.

Ich hatte diesen Morgen eine Mediationssitzung im Kaminzimmer. Zwei Stunden waren vorgesehen, 10.30 Uhr bis 12.30 Uhr. Es war bereits 11.30 Uhr und der Schlagabtausch war in vollem Gange. Wobei sich die Argumentationen mittlerweile wiederholten und sich die Positionen immer mehr verhärteten. Das war in der Mediation nicht mal so selten, vor allem zu Beginn. Wichtig für die Lösungsentwicklung war, dass sich die Parteien der Interessen gewahr wurden, die hinter den verschiedenen Positionen standen. Sowohl der eigenen Interessen, als auch der Interessen der anderen Partei.

Es ging als Mediator auch darum, den Parteien Raum für Emotionen zu geben und nicht dem Drang nachzugeben, sofort schlichten zu müssen. Ein Gewitter konnte auch reinigend wirken. Oft wurde von den Mediationsparteien die Gelegenheit wahrgenommen, ihren Frust und Ärger im Beisein des Mediators auszudrücken. Manchmal wurde die Wut über die andere Partei auch dem Mediator erzählt und die anwesende Gegenpartei in der dritten Person angesprochen.

Und prompt richtete Frau Wotlow das Wort an mich: «Sehen Sie Herr von Klarau? Genau das meine ich. Verstehen Sie mich jetzt? Herr Lahr ist völlig uneinsichtig. Er merkt gar nicht, dass er alles nur noch schlimmer macht und unhaltbare Vorwürfe in’s Feld führt.».

Dies war nun die Gelegenheit, meinerseits zu intervenieren, da ich direkt angesprochen wurde. Ich konnte Frau Wotlow fragen, was sie so betroffen gemacht hatte oder was ihr in Bezug auf die Firma wirklich wichtig war. Meine Absicht war, das Gespräch in die Richtung ihrer Interessen, Wünsche und Bedürfnisse lenken.

Ich verpasste den Moment und meinen Einsatz.

«Sie wollten mich bereits am ersten Tag, als Sie hier das Ruder an sich gerissen haben aus der Firma werfen! Ihr Vater hat mich als Nachfolger für die Weiterführung der Geschäftstätigkeit der Firma Wotlow vorgesehen. Leider ist er gestorben, bevor er sein Testament anpassen konnte. Und er wusste auch, warum er Sie nicht in der Firma haben wollte! Wir sind eine Traditionsschreinerei und keine Schickimicki-Möbel-Manufaktur!“, knurrte Philipp Lahr.

Philipp Lahr bebte vor Wut: “Sie mit Ihren akademischen Ideen, Ihrem hochtrabendem Consulting-Gebrabbel von Effizienzsteigerung, Nischenmärkten und Unic-Selling-Propoirgendwas. Ihr Vater ahnte bereits damals, dass Ihre abstrusen Vorstellungen das Traditionsunternehmen an die Wand fahren würde. Ruinieren würden Sie das Familienunternehmen! Sie sind ja völlig realitätsfremd, Frau Wotlow, völlig realitätsfremd sag ich Ihnen! Und nur, weil Sie studiert haben, meinen Sie nun, Sie hätten die Weisheit mit Löffeln gefressen. Zudem verbitte ich mir……“

Frau Wotlow unterbrach ihn hitzig: „ICH habe innovative Ideen, SIE haben antiquierte Vorstellungen. Haben Sie bemerkt, Sie Oberschlauschreiner, der das Geschäft ja so gut versteht, dass unser Marktanteil seit gut 10 Jahren kontinuierlich abgenommen hat? Was denken Sie, warum mein Vater seit längerem um die Existenz der Firma kämpfen musste? Wir sind kein Weltkonzern wie derjenige mit den vier Buchstaben, der aus Schweden kommt und Elche röhren lässt, Herr Möchtegern-Chef. Wir sind eine mittelständische Möbelschreinerei, die hier lokal verankert ist, und wir müssen uns Gedanken ums Überleben machen und das bedingt auch Einschnitte in unser heutiges Geschäftsmodell!“

„Geschäftsmodell?! Wenn ich das schon höre, wird mir schlecht! Können Sie nicht so sprechen, wie Ihnen der Schnabel gewachsen ist? Hören Sie sich mal selbst zu!“, brüllte Lahr.

Die Zwei kämpften mit harten Bandagen und ich liess sie vorerst gewähren. Die Energie musste erst verpuffen. Irgendwann würde sich Frau Wotlow oder Herr Lahr erneut an mich richten, mit einem weiteren: ‚Sehen Sie Herr von Klarau! Genau das meine ich‘. Wahrscheinlich nicht wortwörtlich aber sinngemäss. Dann würde ich wieder versuchen, dem Ganzen eine neue Richtung zu geben. Bis dahin hörte ich aufmerksam zu und erhielt dabei viele Informationen über die Befindlichkeiten der Parteien.

Ich hatte mich im Vorfeld über den Fall bzw. die Firma informiert. Zudem war dies bereits das zweite Gespräch. Im ersten Gespräch, das wir vor gut einer Woche geführt hatten, hatte ich Frau Wotlow und Herrn Lahr die Mediation und das Vorgehen erläutert. Beide hatten aufgrund der Bitte der restlichen Erbengemeinschaft eingewilligt, an einer Mediation teilzunehmen. Die erste Besprechung war zwar in einer eher unterkühlten Atmosphäre, jedoch grösstenteils ruhig verlaufen.

Die weiter zurückliegende Geschichte der Firma war für die Mediation nicht von wesentlicher Bedeutung. Gleichwohl war sie faszinierend. Wotlow war ein Unternehmen, das sich seit Generationen im Familienbesitz befand. Es war eine beeindruckende Firmengeschichte. Ich kannte nicht mehr viele Unternehmen in Granburg, die seit Generationen im Familienbesitz waren. Im vorliegenden Fall war nun ein Kampf um die Nachfolge entbrannt. Ich wusste aus dem Aktenstudium und aus Telefonaten, was in der Firma vorgefallen war. Die familiären Verhältnisse waren mir aus dem ersten Gespräch mit Frau Wotlow und Herr Lahr in groben Zügen bekannt.

Schon sieben Generationen der Wotlows kümmerten sich um den Fortbestand der Möbelschreinerei. Karl Wotlow stellte die siebte Generation, als er in den achtziger Jahren, die Schreinerei übernahm. Derzeit hatte sie knapp 15 Mitarbeitende und arg zu kämpfen in einem anspruchsvollen Markt. Nicht nur der von Frau Wotlow erwähnte Grosskonzern aus Schweden mit vier Buchstaben, auch das Do-it-Yourself der Baumärkte grub der Firma Wotlow das Wasser ab. Mehrfach in der Geschichte der Firma, konnte der Konkurs nur knapp abgewendet werden. Jedes Mal konnte der alte Wotlow das Ruder nochmals rumreissen.

Karl Wotlow hatte drei Kinder, zwei Söhne und eine Tochter. Genügend Optionen also, dass jemand die Familientradition weiterführen konnte. Unglücklicherweise starb der eine Sohn mit zwanzig bei einem Motorradunfall. Der zweite Sohn hatte zwar eine Schreinerlehre begonnen, diese jedoch abgebrochen und sich entschlossen, wieder zur Schule zu gehen und Medizin zu studieren. Dieser Sohn, Per, hatte sich während seiner Lehre im familieneigenen Betrieb mit seinem Vater zerstritten. Per, war mittlerweile 29 Jahre alt und stand kurz vor Abschluss seines Medizinstudiums. Er hatte nie mehr Interesse bekundet, das Unternehmen zu übernehmen, sehr zum Leidwesen seines Vaters Karl Wotlow.

Sabine Wotlow zeigte Freude an der Schreinerei und am Beruf. Nur hatte der alte Karl sich gewünscht, einer seiner Söhne hätte dieses Engagement. Sabine Wotlow hatte einen schweren Stand bei ihrem Vater. Sie wurde nie gleich behandelt oder vielmehr nicht für gleich fähig befunden, wie seine Söhne, einen solchen Schreinereibetrieb führen zu können. Nachdem sich ihr jüngerer Bruder, unter dem Einfluss des Vaters, schon früh für die Lehre im Familienbetrieb entschlossen hatte, war für Sabine Wotlow dieser Weg vorerst versperrt geblieben. Sie hatte stattdessen Betriebswirtschaft studiert und ihre Abschlussarbeit beschäftigte sich mit Marketingstrategien einer mittelständischen Schreinerei. Offensichtlich hatte der Vater diese Arbeit seiner Tochter auch gelesen und wie sein Schreinermeister Philipp Lahr, die Ideen als Verrücktheiten abgetan.

Sabine Wotlow war 34 Jahre alt, geschieden und alleinerziehende Mutter eines fünfjährigen Sohnes. Mit dem überraschenden Tod ihres Vaters, wollte Sabine Wotlow ihr im Studium und in einem Industrieunternehmen erworbenes Wissen in den Familienbetrieb einbringen. Von der familiären Erbengemeinschaft, bestehend aus ihrer Mutter, ihrem Bruder und ihr selbst, wurde sie auch als vorübergehende Geschäftsführerin eingesetzt.

Klaus Wotlow hinterliess ein Testament, das seine Kinder auf den Pflichtteil setzte und den Rest seiner Frau bedachte. Dieses Testament war vor 25 Jahren datiert, nichtsdestotrotz gültig. Da zählte auch nicht, dass die Belegschaft der Firma Wotlow die Aussagen von Philipp Lahr bestätigte, dass der alte Karl Wotlow in den letzten zwei Jahren Philipp Lahr als sein Nachfolger aufgebaut und ihm grosse Entscheidungskompetenzen zugeschanzte hatte.

Bitter enttäuscht äusserte sich Philipp Lahr in der Sitzung darüber, dass Karl Wotlow ihm dazumal versprach, ihn als Dank für die geleisteten Dienste, in einem neuen Testament zu berücksichtigen. Karl Wotlow hatte dies offenbar unterlassen oder keine Zeit gefunden, den Passus der Nachfolge in einem neuen Testament festzuhalten. Philipp Lahr äusserte in der Mediation sogar den Verdacht, dass sehr wohl eine aktualisierte Version des Testaments existieren könnte, aber gar nicht alle Betroffenen ein Interesse hätten, das ein solches überhaupt gefunden würde. Er rettete sich vor einer direkten Anschuldigung an die Adresse von Frau Wotlow damit, dass er erwähnte ›ohne jemand Bestimmtes im Kopf zu haben‹. Den Anwesenden war aber klar, was er damit sagen wollte. Entsprechend reagierte Frau Wotlow geharnischt und verbat sich eine solche Unterstellung.

Die ganze Situation war vor Wochen eskaliert, als Sabine Wotlow Philipp Lahr unterstellte, seine Kompetenzen beim Kauf einer Drechselmaschine überschritten zu haben. Philipp Lahr reagierte heftig. Er warf Sabine Wotlow vor, ihn aus dem Betrieb treiben zu wollen. Zum Eklat kam es im Unternehmen, als Frau Wotlow Philipp Lahr aus ‚wirtschaftlichen Gründen‘ kündigte, worauf er diese Kündigung anfocht.

Die Mutter und der Bruder von Sabine Wotlow überzeugten die zwei Streithähne, eine Mediation zu versuchen. Die Mutter war der Ansicht, dass ein gemeinsamer Nenner vorhanden war: Der Fortbestand des Unternehmens. Ob sich die Zwei wieder verstehen würden oder nicht, stand nicht im Zentrum. Eine gütliche Trennung konnte ein Lösungsweg sein. Auch dies konnte als erfolgreiche Mediation verstanden werden. Ob dies eine Option war, mussten jedoch Frau Wotlow und Herr Lahr, mit meiner Unterstützung, erst noch herausfinden.

Ich ahnte, dies würde eine harte Nuss zum Knacken. Bei Frau Wotlow und Herrn Lahr waren viele tiefgehenden Verletzungen im Spiel. Das war jedoch auch die Chance für eine Mediation.

Wenn beide Parteien erkannten, aus welchen Gründen – Verletzungen, Ängste, Hoffnungen – gewisse Reaktionen ausgelöst wurden, dann konnte dies ein wichtiger Schritt in Richtung gegenseitigem Verständnis sein.

„Das bringt doch alles nichts!“, sagte Herr Lahr und machte eine wegwischende Bewegung in Richtung Frau Wotlow.

„Das ist auch meine Meinung!“, erwiderte Frau Wotlow nüchtern.

Beide schwiegen.

Ich konnte es mir beinahe nicht verkneifen laut auszusprechen, dass sie wenigstens bei diesem Punkt offenbar gleicher Meinung waren.

Ich wollte die kurze Pause jedoch nutzen, das Gespräch in Richtung Interessen zu lenken.

„Herr Lahr, was liegt Ihnen in Bezug auf die Zukunft der Firma besonders am Herzen?“, ich schaute Herr Lahr an und wartete.

Es bestand aus meiner Sicht immer noch die Chance, dass gemeinsame Interessen, wie der Fortbestand des Unternehmens, von beiden Parteien geäussert wurden. Falls diese Vermutung der Mutter von Frau Wotlow zutraf, war es zumindest möglich, die Sachebene besser von der persönlichen Ebene zu trennen. Ich war zuversichtlich, die Mediation bei meinen zwei Klienten in diese Richtung lenken zu können. Die Lösungsoptionen würden sie schlussendlich selbst finden. Eine Mediation hatte oft auch mit Geduld zu tun. Geduld für den Prozess. Geduld mit den Parteien.

(Ende des 3. Teils).

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